Als ich vor bald drei Jahren zum ersten Mal nach Bhutan reiste, gab es praktisch nur ein Einfallstor: Der internationale Flughafen in Paro, ganz im Westen des Landes gelegen. Das hatte zur Folge, dass die Reisenden ihre Besichtigungstouren vor allem in der westlichen Hälfte des Landes machten, wo auch die Hauptstadt Thimpu liegt.
Der Osten des Himalaya-Landes war damals weitgehend vom Tourismus ausgeschlossen. Ein wesentlicher Grund: Die Flugverbindungen vom Paro nach Jakar und vor allem nach Yonphula ganz im Osten glichen einer Lotterie. Und sie sind es noch heute. Die meteorologischen Verhältnisse lassen Flüge nur sehr unregelmässig zu. Und für die Alternative, eine lange Reise auf der einzigen Ost-West-Strassenverbindung, braucht es viel Zeit, was die meisten Bhutan-Reisenden nicht haben.
Seit Oktober 2024 ist Ostbhutan für Besucherinnen und Besucher endlich näher gerückt. Der lange Zeit geschlossene butanesische Grenzübergang Samdrup Jonghkar wurde wieder geöffnet.
Reisende können seither aus der Schweiz nach New Dehli und von dort in zweieinhalb Stunden nach Guwahati in Nordostindien fliegen und erreichen dann auf einer gut ausgebauten Strasse mit einem Taxi in wenigen Stunden den indischen Grenzort Darangamela.
Wenn Beamte nicht mitspielen
Voller Vorfreude steuerten meine beiden Mitreisenden, darunter Christine Jäggi, die über ihr Berner Reisebüro Onthewaytours die Bhutan-Tour organisiert hat, den Grenzübergang an.
Lass dich nie aus der Ruhe bringen! Wer diese Devise nicht kennt, sollte sie spätestens auf einer Reise in diese Weltgegend verinnerlichen.
Als wir nach 18 Uhr beim indischen Zollamt vorfuhren, waren die Lichter ausgeschaltet. Die Beamten genossen bereits ihren Feierabend. Und dies, obwohl in international zugänglichen Informationen steht, dass der Grenzposten rund um die Uhr offen sei. Der Postenchef reagierte nicht auf die Anrufe von Christine.
Und so mussten wir notfallmässig in Darangamela ein Hotel suchen. Die Nacht wurde kurz, weil alle Hunde in der näheren und weiteren Umgebung zum nächtlichen Gebell ansetzten. (Da Hunde keine Grenzen kennen, wurden wir in den folgenden Wochen auch auf bhutanesischer Seite fast jede Nacht von den Vierbeinern beschallt.)
Am Morgen danach knallten die indischen Beamten die Stempel zügig in unsere Pässe. Der bhutanesische Beamte in Samdrup Jonghkar hingegen sah das anders. Er pochte bei einem von uns dreien auf einen Papierausdruck des Visums im Pass. Das kostete sehr viel Zeit, weil zuerst ein Drucker gesucht werden musste. Unser bhutanesischer Guide Ugyen Wangchuk, der uns zuvor in Empfang genommen hatte und uns die nächsten drei Wochen coachen würde, tat sein Möglichstes. Der Beamte blieb bei seinem Vorhaben.

Pfeilbogenschützen und Schönheitswettbewerb
In diesem abgelegenen Hochland wachsen unzählige Rhododendron-Bäume. Von den über 46 Arten in Bhutan sollen allein hier gegen 40 Spezies zu finden sein. Wir spazierten über das hügelige Gelände, wo sich täglich weit über Tausend Menschen einfinden. Sie breiten ihre Decken auf dem Boden aus und folgen den musikalischen Darbietungen. Zahlreiche Stände mit Textilien, Kunsthandwerk und lokalen Speisen laden zum Flanieren ein.
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Sieben Tage lang wird gefeiert.... |
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...und gefestet. |
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Spass unter dem Rhododendronbaum |
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Pfeilbogenschiessen, Bhutans Nationalsport |
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Im Zielhang hält man sich nicht mit Sicherheitsfragen auf |
Doch niemand suchte Schutz. Im Zielhang hatten sich auch Zuschauer häuslich niedergelassen und verfolgten das Treiben aus der Nähe.
Weitaus weniger gefährlich erschien uns da die Wahl der Miss Bropka, die im Zentrum des Festgeländes stattfand.
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Wer ist die schönste Bropka in Ostbhutan? |
Kleiner kulturhistorischer Exkurs: Die Brokpa stammen aus dem Tibet. Der Legende nach sollen sie im 15. Jahrhundert in den Süden ausgewandert und eine neue Heimat gesucht - und sie später in Merak und Sakteng gefunden haben. Ihr Lebensstil gilt als halbnomadisch. Sie züchten Yaks und stellen unter anderem fermentierten Yakkäse her. Auch wird die Yak-Wolle für Textilprodukte weiterverarbeitet.
Die älteren Brokpa-Frauen fallen vor allem durch ihre farbenfrohen Kleider und durch ihre Kopfbedeckung namens Tripee Cham auf, einem schwarzen Filzhut mit Fransen. Gerne präsentieren sie auch ihren zahlreichen Schmuck, der unter anderem aus Korallen gefertigt wird.
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Unsere Gastgeberin in Merak (r.) mit der typischen Bropka-Haartracht |
Auf der Weiterfahrt setzten sich zwei Brokpa-Frauen zu uns ins Auto. Die eine würde uns die nächsten zwei Tage in ihrem Haus beherbergen, wie wir erfuhren.
Als wir in Merak schliesslich ausstiegen, war es sehr kalt geworden. Das Gästehaus bestand aus drei Schlafzimmern und einem Aufenthaltsraum mit einem gusseisernen Ofen. Dazu gehörte eine Toilette, die aus der WC-Schüssel, einem Kübel kaltem Wasser sowie einem alten Oelfass bestand, das mit Regenwasser gefüllt und mit einem Schöpfgefäss ausgerüstet war. Wir ahnten es: Das Wasser im Fass diente zum Spülen des Toilette. Keine Heizung weit und breit.
Wie wir zu Einheizerinnen und Einheizer wurden
Das vordringlichste Problem nach unserer Ankunft war die einzige Heizung in Gang zu bringen. Unter kundiger Anleitung unserer Gastgeberin entwickelten wir uns im Nu zu Profi-Einheizerinnen. Und ich überdies zur verbissenen Türschliesserin. Wann immer unsere Wirtin auftauchte - was sie sehr oft tat, stets liess sie die Türe der geheizten Stube offen.
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Heizen als überlebenswichtigste Aktivität |
Kälte ist für sie ganz offensichtlich ein Fremdwort. Kein Wunder, unter ihren farbigen Röcken trug sie lange Unterwäsche und dies offensichtlich in mehreren Schichten.
Wenn wir nicht gerade auf einem Dorfrundgang waren, verbrachten wir die meiste Zeit in der geheizten Stube. Bei den Mahlzeiten gesellten sich jeweils der Guide Ugyen und der Fahrer Dozhi zur gemütlichen Runde dazu.
Um in meinem eiskalten Schlafzimmer zu überleben, sammelte ich alle Wolldecken auf den zwei vorhandenen Betten ein und verkroch mit darunter.
Die zwei Tage in Merak sollten der Akklimatisierung dienen.
Am zweiten Tag im Bergdorf kippte unsere Stimmung. Auf einem ausgedehnten Spaziergang durchs Dorf und in die nähere Umgebung notierten wir die Wolken- und Nebelbänke, welche die Berge einhüllten. Wir diskutierten über das Für und Wider. Was bringt ein anstrengendes zweitägiges Trecking in dünner Höhenluft, wenn wir im Nebel stecken und nichts, aber auch gar nichts von der grandiosen Berglandschaft mitbekämen? Schliesslich sausten unsere Daumen nach unten. Die gedrückte Stimmung hielt allerdings nicht lange an.
Kein Strom, dafür ein Schneesturm
Zurück in der warmen Stube fiel am Abend plötzlich der Strom aus, was in diesem Land nichts ungewöhnliches ist. In bester Laune präsentierten wir uns im Licht unserer Handys und machten auf Geisterbeschwörung, bis die Wirtin die fröhliche Runde mit einer Batterielampe "erhellte".
Und dann lösten sich noch allfällig letzte Zweifel an unserem Entscheid ultimativ auf: Draussen tobte inzwischen ein veritabler Schneesturm. Über unser Fahrzeug legte sich eine dicke Schneedecke.
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Unser Auto im Schnee |
Als wir am nächsten Morgen Merak verliessen, präsentierten sich die Berge in einem weissen Kleid. Unser Guide hatte inzwischen erfahren, dass das Hochtal, in dem wir nach der Passüberquerung unsere Zelte aufgeschlagen hätten, zum Sumpfgelände geworden war.
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Der plötzliche Schneefall, der unser Trecking vereitelte. |