Freitag, 2. Juni 2023

Auf Umwegen nach Paris

Nach Paris, das ist ja klar, fährt die Bahnliebhaberin mit dem TGV Lyria. In Zürich einsteigen, im Gare de Lyon in Paris aussteigen - dank einer Geschwindigkeit von maximal 320 km/h braucht es für die 489 km von Zürich in die französische Metropole nur 4 Stunden und 4 Minuten.

Es geht auch anders - und weitaus langsamer. Dafür entdeckt man viele Dinge. 

Frankreichs Regionalzüge TER führen irgendwie ebenfalls alle nach Paris, wenn auch auf interessanten Umwegen. In meiner Variante* war es eine Fahrt durch den Grand Est. Dazu gehören die Regionen Elsass (Alsace), Lothringen (Lorraine) und Champagne-Ardenne. 

Von Basel geht es nach Strassburg. Dort steige ich in den Zug nach Epinal um. Der TER ruckelt in südliche Richtung durch das Vallée de la Bruche, das, soviel lässt sich aus dem Fenster erahnen, ein Paradies für Wanderer und Bikerinnen sein muss. Mehr Infos dazu auf www.valleedelabruche.fr

Auch Geschichtsinteressierte kämen hier auf ihre Kosten: In Schirmeck steht das Mémorial Alsace Moselle. In dem futuristisch anmutenden Bau wird die wechselvolle Geschichte des Elsass ab 1870 multimedial ausgebreitet (memorial-alsace-moselle.com)

In Epinal wechsle ich auf den Zug nach Lure, und weiter geht's immer schön südwärts. Paris läge im Nordwesten. In Lure schliesslich biegt der TER scharf nach Westen ab nach Langres.  

Das zwischen 300 bis 400 m hohe Plateau de Langres ist eine Kalksteinformation und einer der grössten Wasserspeicher Frankreichs. Hier entspringen die Flüsse Aube, Marne, Maas und Seine. Das Plateau ist Teil der Europäischen Hauptwasserscheide.


Langres (Foto: Office de Tourisme du Pays de Langres)

Das Städtchen Langres liegt auf einem Hügel und ist von einem vier Kilometer langen Festungsgürtel eingefasst. Die sieben Türme gelten als Meisterwerke der Militärarchitektur des Spätmittelalters. 

Berühmtester Bürger von Langres war Denis Diderot (1713-1784). Der für seine scharfe Zunge gefürchtete  Philosoph machte die Aufklärung in Europa bekannt. Sein Ziel: Die göttliche Autorität durch irdische zu ersetzen, Regeln zu finden, die sich nicht vom Himmel, sondern aus dem menschlichen Zusammenleben ableiten liessen. Merci Monsieur Diderot! Aus seiner Feder stammt die „Encyclopédie“, das erste französische Kompendium modernen Wissens. 



Auch ein Schweizer hinterliess in Langres Spuren: Ingenieur Niklaus Riggenbach (1817-1899). Noch nie von ihm gehört? Dann drängt sich umgehend eine Fahrt mit der Zahnradbahn auf die Rigi hinauf. Denn Riggenbach ging als Erfinder der Zahnradbahnsystems und Erbauer der Rigi-Linie in die Geschichte ein.


Niklaus Riggenbach

Und was hat das mit Langres zu tun? 

1857 wurde der Bahnhof Langres-Marne von der Bahngesellschaft Chemins de fer de l’Est in Betrieb genommen. Er liegt an der Bahnstrecke Paris–Mulhouse. Das Problem: Der Bahnhof befindet sich 130 Meter tiefer als das befestigte Städtchen Langres. Das Militär drängte jedoch auf eine Station an der Zitadelle. 

Das bedingte einen spektakulären Bau: Die  1472 Meter lange Strecke überwand einen Höhenunterschied von 132 Meter und wies eine maximale Steigung von 172 Promille auf. Ingenieur Riggenbach war seit 1881 an der Planung beteiligt und hatte die Installation einer Zahnstange vorgeschlagen. Sein Konzept mit zwei Gleisen wurde jedoch verworfen. Es musste eine eingleisige Variante sein. Riggenbach wurde durch andere Ingenieure ersetzt. Sein System einer Zahnstange wurde jedoch beibehalten.  

Diese Zahnstange  wurde auf zwei insgesamt 938 Meter langen Abschnitten angebracht. Weil das Militär keinen Tunnelbau wünschte, wurde der Bau eines 63 Meter langen Viadukts auf gemauerten Pfeilern nötig, um das Gleis auf die Krone der Befestigungsmauer zu führen.

Am 6.November 1887 dampfte die erste Bahn über die steile Rampe in die Zitadelle hoch. Ob Riggenbach beleidigt war, weil sein Doppelspur-Konzept nicht  umgesetzt worden war, wissen wir nicht. Auf Meriten war er damals aber schon nicht mehr angewiesen. 

Die Zahnradbahn in voller Fahrt (Bild: Collection Gisèle Peter)
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Denn bereits 1871 hatte die Vitznau-Rigi-Bahn mit dem System Riggenbach den Betrieb aufgenommen - als erste Bergbahn Europas. Erbaut von den Ingenieuren Niklaus Riggenbach, Ferdinand Adolf Naeff und Olivier Zschokke.

Während die Rigi-Bahn noch heute Gäste aus der ganzen Welt auf  den Gipfel hochbringt, erinnert in Langres nur noch ein einsamer gelb-roter Bahnwagen oben auf der Rampe an die vergangenen Zeiten. Der Wagen steht auf einem kurzen Gleisstück mit Riggenbachs Zahnstange und sieht reichlich verwittert aus. 


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Das Überbleibsel (Foto: Jean-François Feutriez)

Der Betrieb war im Februar 1971 wegen Überalterung eingestellt worden. Heute brausen Busse und Autos in die Zitadelle hoch. Den altersschwachen Bahnwagen kann man noch immer besichtigen und sich über diese Ermahnung amüsieren: "DEFENSE DE FUMER ET DE CRACHER"

Langres - ça vaut le détour!

Und nun geht es weiter in Richtung Paris. Prochain ârret: Chaumont. 

Auch hier finden Bahnfreunde- und freundinnen einen Leckerbissen. Mehr davon demnächst. 


* Die zweitägige Bahnreise fand im Rahmen einer Exkursion der Bahnjournalisten Schweiz

statt. 

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