Kann man Glück messen? Ja, sagte sich das Königreich Bhutan in den 1970er Jahren und führte das Bruttonationalglück (Gross National Happiness) ein. Es gilt als Alternative zum Bruttoinlandprodukt (BIP) und misst das Wohlbefinden der Bevölkerung statt das wirtschaftliche Wachstum. Bhutan steht damit als weltweites Unikum da.
Und was denkt die Bevölkerung darüber? Der Gradmesser ist wie so oft die Abstimmung mit den Füssen. Sowohl bei der ersten wie auch jetzt bei der zweiten Reise erfuhr ich, dass viele Junge das Land verlassen und vor allem in Australien ihr wirtschaftliches Glück suchen.
Hauptgrund: Sie sehen in der wirtschaftlichen Realität ihres Königreichs keine Zukunft. Derzeit verlassen jährlich über 10'000 Junge das Land, bei einer Bevölkerung von nur gegen 800'000 Einwohnerinnen und Einwohner. Wer zurückbleibt, riskiert Arbeitslosigkeit. Die Rate unter den Jungen liegt laut neueren Erhebungen im zweistelligen Bereich.
Die wichtige Rolle der Klöster in der Geschichte Bhutans
Und der zweite Eindruck, der sich aufgrund der täglichen Begegnungen aufdrängt: Gefühlt die Hälfte der Bevölkerung lebt in Klöstern. Richtig oder falsch? Keine Ahnung, aber das Land des Donnerdrachens, wie sich Buthan bezeichnet, ist zutiefst religiös. Den weinrot gekleideten Mönchen jeglichen Alters begegnet man auf Schritt und Tritt.
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Für Kinder aus armen Verhältnissen ist das Kloster oft einzige Ausbildungsmöglichkeit. |
Als tibetische und indische Mönche nach Bhutan kamen, allen voran der legendäre Guru Rinpoche, stiessen sie religiöse, kulturelle und politische Veränderungen an. Seit dem 12. Jahrhundert ist der Lamaismus die Staatsreligion in Bhutan, seine Würdenträger wiederum sind nicht nur religiöse, sondern auch politische Akteure. Ihre Klöster waren Festungen, die vor Angriffen schützen sollten, und Stützen des Feudalsystems.
A propos Feudalsystem: Die Leibeigenschaft in Bhutan wurde erst von König Jigme Dorje Wangchuck, der von 1952 bis 1972 regierte, abgeschafft.
Mönche spielen nach wie vor eine wichtige Rolle im Bildungssystem. In der Vergangenheit waren Klöster oft die einzige verfügbare Bildungstätte für Kinder in ländlichen Gebieten. Noch heute schicken arme Familien aus purer Not ihre Kinder in Klöster. Nicht selten sind die Bedingungen wegen Lehrermangels und ungeeigneten Räumlichkeiten prekär.
Wie Leki und Chening die Armutsfalle überwinden konnten.
Auf meiner jüngsten Reise bin ich auf zwei Stories gestossen von mausearmen Bauernkindern, die auf Umwegen und mit viel Ausdauer doch noch ihren Traumjob gefunden haben.
Leki wuchs als Kind von Kleinbauern im abgelegenen Mongar-Bezirk im Ostbhutan auf. Mit 12 Jahren entdeckte Leki bei einem Besuch in einem Kloster die faszinierenden Thangkas, farbige Rollbilder des tantrischen Buddhismus, die zur Meditation in Tempeln oder Hausaltären aufgehängt sowie bei Prozessionen mitgeführt werden.
Leki wollte unbedingt Künstler werden. Es blieb beim Traum. Angesichts der Armut seiner Eltern verliess Leki nach dem achten Schuljahr das Elternhaus und verdingte sich auf Baustellen in Westbhutan, um den Eltern nicht mehr zur Last zu fallen.
Der Zufall wollte es, dass er just für die Renovation jenes Tempels eingesetzt wurde, wo er Jahre zuvor auf die Kunst der Thangka gestossen war. Seine alte Liebe für das Kunsthandwerk entflammte von neuem. Er kam in Kontakt mit der Choki Traditional Art School (CTAS), einer privaten Ausbildungsstätte für traditionelles Kunsthandwerk, wo Jugendliche aus ärmlichen Verhältnissen und Waisenkinder kostenlos wohnen und eine Ausbildung machen können. Die Schule hat ihren Sitz in der Hauptstadt Thimpu. 2021 wurde Leki zugelassen.
In den nächsten drei Jahren gewann er mehrere Auszeichnungen für seine Thangkas und schuf sich einen Namen in der Kunstszene. Mit dem Geld, das er nun verdiente, unterstützt er nicht nur seine Eltern, sondern ermöglichte in diesem Jahr einem mittellosen Studenten, die Schule zu absolvieren.
Zu Besuch im Institute of 13 Arts
Wir besuchten einen Ableger dieser Berufsschule in Trashiyangtse in der nordöstlichen Ecke von Butan. Im "Institute of 13 Arts" werden junge Frauen und Männer im unter anderem im Weben, Sticken, der Herstellung von religiösen Figuren aus Holz und Lehm und dem Schmieden von Schwertern unterrichtet. Die Ernsthaftigkeit, mit der hier unterrichtet und gearbeitet wird, hat uns sehr imponiert.
Seidenstickerei |
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Kunst wird aus Holz geformt |
Und was hat der Schwarzhalskranich mit Chening Dorji zu tun? Der selten gewordene Vogel aus dem Tibet verbringt die Wintermonate in zwei Reservaten in Bhutan. Und die Überraschung war gleich doppelt gross, als wir ins Phobjikha Valley einfuhren und unweit der Strasse einige Schwarzhalskraniche entdeckten? Hatten sie ihren Rückflug ins tibetanische Hochlandplateau verpasst? Ihre Artgenossen waren schon in den Wochen zuvor in ihre Heimatgefilde zurückgeflogen, wie wir erfuhren.
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Schwarzhalskraniche im Phobjikha Valley |
Wie auch immer: Der Anblick der eleganten Vögel war überwältigend. Womit ich bei Chening Dorji angekommen wäre. Chening stammt aus einem abgelegenen Dort in Ostbhutan. Bereits im zweiten Schuljahr musste wurde er zurück auf den elterlichen Hof um bei der Arbeit zu helfen.
Ein Onkel nahm in später mit in die Hauptstadt Thimpu, wo er einen Job als Hilfsfahrer fand. 1998 stellte ihn die Königliche Naturschutzgesellschaft als Fahrer an. Er begleitete Forscher und Naturschützer auf Erkundungstrips durch Nationalparks und entwickelte sich dabei zum Vogelspezialisten. Er begann, eigene Vogelbeobachtungsausflüge zu organisieren und gründete mit Gleichgesinnten und dem WWF Vogelclubs für junge Bhutanesen.
Als ihm ein ausländischer Gast eine Kamera schenkte ermunterte ihn ein WWF-Manager, Vogelaufnahmen zu machen, statt nur durch den Feldstecher zu starren. Er brachte sich das Fotografieren selber bei und seine Bilder schafften es schliesslich bis in die Fachliteratur.
Sowohl auf ihn wie auch auf Leki war ich bei der Lektüre des Bordmagazins der bhutanesischen Fluggesellschaft Drukair gestossen.
Den Schwarzhalskranichen begegneten wir später noch einmal bei einem Rundgang durch durch die Hochebene von Phobjikha. Und nicht nur ihnen: Zwischen Yak-Herden landeten und starteten die imposanten Himalaya-Geier, die eine Flügelspannweite von bis zu 3 Meter haben können.
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Ein Himalaya Geier. |
Das Abfallproblem im Königreich
Ihren Flügen zuzuschauen, war ein Highlight. Senkt man die Augen wieder auf den Boden, trifft man auf eine andere Realität. Das überaus dünnbesiedelte Land, das sich als besonders umweltfreundlich propagiert, hat ein grosses Abfallproblem. Auf Schritt und Tritt treffen wir im Phobjikha-Valley auf Plastik- und Glasflaschen, leere Chips-Beutel, Alu-Abfall und vieles mehr. Im Müll lassen sich die veränderten Essgewohnheiten studieren. Snack- und Fast-Food-Verpackungen und Unmengen von Plastikflaschen für Süssgetränke landen unkontrolliert in der Umwelt.
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Abfall am Strassenrand und auf dem freien Feld |
Entlang der über 700 km langen Lateral Road, wie die einzige Strassenverbindung von Osten nach Westen heisst, trifft man am Rand auf das, was das autofahrende Volk zum Fenster rauswirft. Dabei werden die Autofahrer und Wanderinnen auf Schritt und Tritt gewarnt, dass das Wegwerfen von Abfällen strafbar sei.
Blickt man von einem der zahlreichen Aussichtspunkt entlang der Route in die grandiose Berg- und Tallandschaft, entdeckt man vielerorts Abfallsäcke, die an den bewaldeten Steilhängen "entsorgt" wurden. Zwar wurden in den letzten Jahren in Dörfern Entsorgungspunkte geschaffen, meist in Form von kleinen Häuschen, in denen man Glas, Plastik und Metall deponieren kann. Doch meist sind dieses Sammelstellen rappelvoll, was darauf hinweist, dass die Behörden den Abfall nicht weg transportieren.
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An den Sammelstellen häuft sich der Abfall. Und er bleibt so liegen. |
Bei meinem jüngsten Aufenthalt in Bhutan enervierte sich ein Leser in der ältesten Zeitung des Königreichs namens "Kuensel" über die "nationale Schande". "Was stimmt bei uns nicht? Warum können wir das Problem nicht lösen? Handelt es sich um eine kulturelle Schwachstelle oder fehlt es uns ganz einfach an jeglichem Verantwortungsbewusstsein?"
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Bleibt nur ein frommer Werbespruch. |
Und der Leser benannte den grössten Schwachpunkt: Das Abfallverbot werde überhaupt nicht umgesetzt, es gebe weder Bussen noch würden Umweltsünder zur Verantwortung gezogen. Und offenbar hätten die Lokalbehörden ganz andere Prioritäten als die Umsetzung einer funktionierenden Abfallbewirtschaftung zu garantieren.
Die Entschleunigung auf Bhutans Ost-West-Transversale
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Steinschlag, Hangrutsch und fast keine Brücken: Bhutans Transversale von Ost nach West ist ein Abenteuer. |
Doch jetzt zu zwei ganz anderen Facetten von Bhutan. Die 700 km auf der Lateral Road von Ost nach West sind eine wahre Entschleunigungskur. Unser Driver Dodzhi fuhr den achtplätzigen Honda nie schneller als 25 bis 30 Stundenkilometer. Erstens war das Fahrzeug bis aufs Dach mit Gepäck beladen. Und zweitens ist die Lateral Road eine unendliche Abfolge von Kurven aller Art, von der übersichtlich angelegten leichten Kurve bis zur Haarnadelkurve im steilen Gelände.
Wohl aus Kostengründen werden nur ganz selten Brücken errichtet, um die Strasse zu begradigen. Und wohl ebenfalls aus Kostengründen werden, wenn überhaupt, nur minimale Vorrichtungen gegen Steinschlag errichtet. Dies, obwohl Hangrutsche und Steinschlag allgegenwärtig sind.
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Steinschlag ist eine permanente Herausforderung im Strassenbau. |
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Languren im Magnolienbaum |
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Makaken machen "Verkehrskontrolle". |
Bhutans Totenkult an jeder Strassenecke
Und natürlich ist die Strasse gesäumt von Stupas, kleinen Tempelanlagen und Gebetsfahnen. Und von überhängenden Felsen. Ob in Felsenritzen oder auf Tempelmauern: Überall findet man die kleinen Tonfiguren. Sie zeugen vom intensiven Totenkult in Bhutan und heissen Tsatsa.
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Findet man fast überall entlang von Strassen und Fusswegen: Tsatsa |
Nach der Feuerbestattung wird die Asche des Verstorbenen mit Ton vermengt und aus der Masse kleine Figuren geformt. Meist erinnern sie an ein Stupa-Dach, es gibt sie in allen Grössen, zumeist in den Farben Rot, Gelb und Gold. Mit diesen religiösen Gegenständen ehren die Familien ihren Verstorbenen und nehmen Abschied, indem sie die Tsatsa in Höhlen, Felsspalten, Stupas, Tempeln und in Gebetsmühlen platzieren.
Bhutans Küche - einmal ganz scharf, einmal ganz grün
Und mit zwei Grüssen aus der Küche beende ich meine Berichte aus Bhutan: Mein erster Gruss heisst Ema Dazhi. Ema bedeutet Chili und Dazhi Käse. Das sehr scharfe Gericht gilt als Bhutans Nationalgericht und wird zu jeder Mahlzeit serviert. Es ist ein einfacher Eintopf aus verschiedenen Chilisorten und Käse.
Man kann die Schärfe mildern, indem man mildere Chilisorten verwendet oder andere Gemüsearten hinzufügt. In Bhutan wird am häufigsten Cheddar-Käse verwendet, der leicht schmilzt. Traditionell wurde Yak-Käse verwendet. Er gilt inzwischen selbst in Bhutan als exotische und entsprechend teure Delikatesse.
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Meine Lieblingsspeise: Das extrem scharfe Ema Datshi. |
Ema Datshi zuzubereiten ist ganz einfach. Es ist ein simpler Eintopf aus verschiedenen Chilisorten, frisch oder getrocknet, und Käse. Man kann die Schärfe von Ema Datshi etwas herausnehmen, indem man entweder mildere Chilisorten verwendet oder Pilze und Kartoffeln hinzufügt. In Bezug auf den Käse wird in Bhutan am häufigsten Cheddar-Käse verwendet, welcher leicht schmilzt. Traditionell wurde der würzige Yak-Käse verwendet, er gilt inzwischen allerdings als exotische Delikatesse und kann sehr teuer sein.
Mein zweiter Gruss heisst Adlerfarn. Das grüne Kraut ist nicht wegzudenken aus den bhutanesischen Kochtöpfen. Der Adlerfarn gilt in unseren Breitengraden als giftig, in der asiatischen Küche wird das Grünzeug hingegen als bekömmliches Gemüse zubereitet. Ich habe es nicht nur überlebt, es hat mir auch sehr gemundet.
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Farnkraut wird in Bhutan als Gemüse serviert. |
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