Freitag, 11. August 2023

Wie wir von Zermatt nach Cervinia gondelten




Auch mit Wolke eine Wucht: Das Matterhorn.









Wenn Bahnbetreiber und Touristiker von einem neuen Angebot schwärmen, gibt es zwei Möglichkeiten: Die frohe Botschaft ignorieren - oder hingehen und testen. Und deshalb machte ich mich kürzlich zusammen mit Wanderexperte Thomas Widmer auf nach Zermatt. 

Dort gibt es seit kurzem eine neue Bahn, die erstmals die Schweiz und Italien über die Alpen verbindet. Sie schliesst das Teilstück zwischen Klein Matterhorn auf 3883 m Höhe mit der Station Testa Grigia, wo die Grenze zwischen der Schweiz und Italien verläuft.

Zu den Vorbereitungen dieser Expedition gehörte der Kauf des Tickets für die spektakuläre Traverse unterhalb des ikonischen Matterhorns. Nach einigen Stolperern gelang es mir, das Ticket online zu erwerben. Stolperer? Wer im Besitz eines SwissPass Mobile ist, kann sich das Billett nicht wie gewohnt aufs Handy laden, sondern muss den Kauf auf die physische Karte laden und diese dann auf die Expedition mitnehmen. 

Ein permanentes Ärgernis: Der Bahnhof von Visp

Und dann gings nach Zermatt. Die Herausforderungen der Überquerung des 3883 hohen Klein Matterhorns fingen bereits in Visp (658 m ü. M.) an. Der Zug aus Zürich via Bern, Ankunft um 9.02 in Visp, war proppenvoll mit Gästen nach Saas Fee und Zermatt. 

Und alle landeten im Flaschenhals von Visp: Die Abgänge (und ergo auch die Aufgänge) zu den Perrons sind skandalös eng. Eilige Passagiere, gehbehinderte Passagiere, Passagiere mit Gepäck und Kinderwagen - alle werden sie in die eklatant engen Abgänge gezwungen. Der Langsamste bestimmt das Tempo. Was sich die Bauherrschaft beim Umbau 2006 gedacht hat, bleibt schleierhaft. 

Resilienz war danach auch in der Visp-Zermatt-Bahn gefordert. Einen einzigen Erstklasswagen gabs, obwohl der Ansturm von Fahrgästen gross war. 

Zermatt ist ein wunderbarer Ort, der Spaziergang zur Talstation ein Vergnügen. Ein kurzes Vergnügen, leider. In der Talstation von Zermatt herrschte ein infernalischer Baulärm. Glücklicherweise erfolgte der Einstieg in die Gondel zügig. 

Von Zermatt gings hoch nach Furi, Schwarzsee zum Trockenen Steg. Ab hier fahren die neuen Panoramakabinen, deren Design vom italienischen Designstudio Pininfarina stammt. Die Fahrt auf das Klein Matterhorn - pardon: Matterhorn Glacier Paradise wie die Station neuerdings heisst, dauerte nur wenige Minuten.  



Das neue Teilstück nach Testa Grigia


Wir beschlossen, die höchstgelegene Bahnstation Europas auf dem Rückweg in Augenschein zu nehmen und fuhren gleich weiter nach Testa Grigia. Unter uns erstreckte sich der Theodulgletscher, auf einer präparierten Piste tummelten sich ziemlich viele Skifahrer. 



Die Schweizer Station auf Testa Grigia.

Bis jetzt funktionierte der SwissPass in Kartenform bestens bei allen Drehkreuzen. Das böse Erwachen kam auf der italienischen Seite der Station Testa Grigia. Das Drehkreuz zur italienischen Seilbahn machte keinen Wank. Ein mürrischer Angestellter beschied uns, dass die Karte in Italien nicht gültig sei, wir müssten ein Ticket kaufen gehen. Alle Versuche, ihm zu erklären, dass wir die gesamte Strecke im Voraus gebucht und bezahlt hätten, waren vergeblich. 

Wir kehrten zur Kasse auf Schweizer Boden zurück und wiesen unsere Karten vor. Der Schalterangestellte legte die Dinger auf einen Kartenleser - alles war ok. Zur Sicherheit begleitete er uns zurück auf italienischen Boden, redete kurz mit dem Angestellten und hielt dann unsere Karten an den elektronischen Kartenleser - und zack: Das Drehkreuz öffnete sich. 

Bergsteiger und und Skifahrer drängten in die grosse Kabine, die Testa Grigia mit der Station Cime Bianche Laghi verbindet. Wir stellten bald fest, dass die Gondelbahnen auf der italienischen Seite ziemlich veraltet sind. In der kleineren Gondel ab Cime Bianche Laghi liessen sich die Kabinentüren nicht mehr komplett schliessen. 


Die Talstation in Cervina (links) mit der Bauruine.

Nach dem mondänen Zermatt, den rundum erneuerten Bergstationen mit ultramodernem Bahnmaterial ist die Einfahrt nach Cervinia ein kleines Schockerlebnis. Die Talstation ist arg in die Jahre gekommen. Noch brutaler fürs Auge ist der Anbau zur Station. Es handelt sich um eine riesige und grausliche Bauruine, notdürftig mit Holzbrettern gegen die Strasse gesichert. 

Ein rascher Blick ins Internet schaffte uns Klarheit: Bei der Ruine handelt es sich das einstmals imposante "Grande Albergo del Breuil – Gran Baita", das am 1. Juni 1937 eröffnet worden war. Nur zwei Jahre später brach in den obersten Stockwerken ein Feuer aus. Der Schaden wurde damals behoben. Das endgültige Aus kam am 8. Juli 1973. Erneut brach ein Feuer aus, und zerstörte weite Teile des Hotels.


Und so sah das Luxushotel in seiner besten Zeit aus.

44 (!) Jahre später entschloss sich eine Gruppe von Unternehmern, die Ruine zu kaufen und daraus wieder ein Grand Hotel für 250 Gäste zu errichten. Der Wiederaufbau werde bald starten, hiess es 2017 in Cervinia. Seither sind wieder sechs Jahre ins Land gegangen, die Ruine gammelt weiter vor sich hin. 

Wer mehr über die Ruine wissen will, wird hier fündig: https://www.cerviniaicons.com/mountain/2017/04/la-gran-baita/

Breuil Cervinia, wie der Ort korrekt heisst, zeichnet sich durch einen wilden Architektur-Mix aus. Nach einem reichhaltigen Apero in der einzigen verkehrsfreien Strasse von Cervinia machten wir uns wieder auf den Rückweg. 

Auch auf 3492 Metern thront eine Ruine

Ganz entspannt, weil der SwissPass tadellos funktionierte, konnten wir die grandiose Berglandschaft in den Blick nehmen. Im Sommer ist die italienische Seite alles andere als aufregend. Eine graue Gerölllandschaft, durchzogen mit Skiliften. Und noch einer Ruine! Von blossem Auge ist das Gebäude auf der Furggen kaum zu erkennen. Der 3492 Meter hohe Berg liegt auf der italienisch-schweizerischen Grenze, ganz nahe beim Matterhorn und dem Furgghorn.

Hier oben wollte Cervinia eine Bahnstation bauen. "Kühn wie ein Adlerhorst und avantgardistisch wie ein Raumschiff sollte die Bergstation an der Felskante hoch über dem Abgrund  thronen", heisst es auf der Onlineplattform Retrofuture (http://www.retrofutur.org/), die sich unter anderem mit Infrastruktur im Gebirge beschäftigt. Die geplante Seilbahn sollte die Station Plan Maison mit der Furggen verbinden. 

Für das ambitionierte Projekt wurde einer der bekanntesten Architekten Italiens, Carlo Mollino, engagiert. "Mollinos Entwurf sah grosszügige über der Tiefe schwebende Plattformen vor, die von eleganten Strukturelementen getragen werden sollten, gekrönt von einem Restaurant mit weiter Glasfront", heisst es in Retrofuture weiter.

Doch Molinos Entwurf von 1951 konnte wegen der enormen Baukosten nicht umgesetzt werden. Stattdessen wurde eine einfache Seilbahnbergstation gebaut. Die passionierten Skifahrer kamen dennoch. Die Skiabfahrt mit der Nummer 9 galt als eine der spektakulärsten, aber auch überaus gefährlichen im Alpenraum.

Im März 1993 fegte ein Eissturm über die Anlage, das Zugseil riss unter der Last des Eises. Die Bahn musste ihren Betrieb einstellen. Auf ein Wiederaufbau wurde verzichtet. Nun steht eine Ruine mehr in den Bergen. 

Und was war mit dem Matterhorn, das ja schliesslich mit ein Grund war, warum wir die Fahrt unternahmen? Es zierte sich wie eine richtige Diva. Das oberste Drittel war praktisch den ganzen Tag in Wolken gehüllt. Erst kurz vor der Einfahrt in Zermatt war plötzlich ein winziger Teil der Spitze zu sehen. 

Dabei scheut Zermatt keine Kosten, den Feriengästen den berühmten Berg aus allen erdenklichen Winkeln zu zeigen. Dazu gehört die "Lupe", eine kreisrunde Konstruktion auf dem ersten Seilbahnmast nach Zermatt. Durch sie wird ab 2024  die neue Gondelbahn führen, die derzeit noch gebaut wird. Sie wird die Gäste via Furi und Trockener Steg auf das Klein Matterhorn führen. Beim Passieren der Lupe sollen die Passagiere das Matterhorn voll im Blick haben. Wenn sich die Diva zeigt...

Lohnt sich die Traverse nach Cervinia und umgekehrt? Oder anders gefragt: Werden die Touristinnen und Touristen aus Asien, die in Italien ankommen und nach Frankreich weiterreisen wollen, diesen neuen Weg über Zermatt wählen? Das gilt dito für die Gäste, die in Deutschland ankommen und nach Italien weiterreisen wollen. Darauf hoffen die Tourismusverantwortlichen in Zermatt. 

An ihnen dürfte es auf jeden Fall nicht liegen. In der Zermatter Talstation wird derzeit eine Gepäckabfertigung eingerichtet. Wie im Flughafen sollen die Transitreisenden ihr Gepäck abgeben können. Täglich sollen zwei Gepäcktransporte in beide Richtungen stattfinden. 

Die grosse Frage: Macht auch Cervinia mit und erneuert rechtzeitig die veraltete Bahninfrastruktur bis Testa Grigia inklusive Gepäcktransport? 












 



Sonntag, 18. Juni 2023

Warum steht das auf der Karte?

Panoramatafeln sind eine nützliche Erfindung. Sie orientieren die Gäste auf Bergen und anderen Aussichtspunkten, wo die berühmten Gipfel zu sehen sind, aber auch Städte und Seen. 

Zum Beispiel die schönste Bergkette der Welt! Aha! Da sind sie ja, Eiger, Mönch und Jungfrau. 

Die nützlichen Dinger stehen selbstredend auch auf der Rigi - der Königin der Berge, wie der markante Gipfel von den örtlichen Tourismusverantwortlichen angepriesen wird. Nicht zu unrecht, wie hier angemerkt sei. 

Das Problem bei den Panoramatafeln ist oft, dass die Designer zu viele Orte markieren, was die Lesbarkeit stark einschränkt. 

Mit Absicht? Auf der Rigi stand ich jüngst vor einer Tafel, die in Richtung West-Nordwest ausgerichtet war: Jurakette, die Vogesen, die Schwarzwaldgipfel - alle wurden sie hier minutiös aufgeführt. Aber nicht nur sie.

Das Auge bleibt plötzlich an einem Namen hängen: Leutschenberg. Leutschenberg? Noch nie gehört, denkt sich die Zürcherin, weil ihr zum Begriff Leutschen nur das Leutschenbach-Quartier in Zürich-Nord einfällt. 



Eine kurze Recherche ergibt: Der Leutschenberg ist ein bewaldeter Hügel (925m) und befindet sich neben der bekannten Geissfluh, die wiederum in jener Jurakette steht, die gleich mehrere Kantone traversiert: Aargau, Solothurn, Baselbiet. Auch ich habe hier zahlreiche Wanderungen gemacht, doch den Leutschenberg habe ich nie wahrgenommen. 

Meine Vermutung: Der Leutschenberg liegt einer Person besonders am Herzen, die an der Ausgestaltung der Tafel auf der Rigi mitgemacht hat. Und so den Namen des unscheinbaren Hügels reingeschmuggelt hat. 

Ein Einzelfall? Keineswegs. Auf dem "WalserSagenWeg" (https://tourismus.li/erlebnisse/sommerurlaub-in-liechtenstein/wandern/themenwege-und-lehrpfade/walsersagenweg) stiess ich in Triesenberg (Liechtenstein) auf eine besonders interessante Informationstafel. Sie zeigt das Relief des Rheintals ohne Ortschaften. Alles ist in Weiss gehalten, als würde man auf eine Gletscherlandschaft blicken. Eingezeichnet sind nur die  Bergketten Werdenberg und Alpstein, jeder Gipfel feinsäuberlich mit Namen gekennzeichnet. Und der Rhein, der hier durchfliesst. 



Die vom Bundesamt für Landestopografie (swisstopo) erstellte Tafel "modelliert die Form der Erdoberfläche ohne Bebauung und Bewuchs. Gewisse hier dargestellte Landschaftsteile können somit durch die Vegetation verdeckt sein", heisst es in der Erklärung. 

Alles verstanden. 

Und dann das! Auf der Tafel taucht ein irritierender Name auf: Strafanstalt Saxerriet. Das Männergefängnis steht in Sennwald im Kanton St. Gallen. Warum ausgerechnet diese Einrichtung auf die Karte genommen wurde, wissen wohl nur die Topografen in Bern und ihre Auftraggeber in Liechtenstein.





 

 



 


Auf Umwegen nach Paris, Teil 3


Prochain arrêt: Paris

In zwei Tagen auf Umwegen nach Paris und wieder zurück: Dieses sportliche Ergebnis gilt noch immer, wenn auch mit einer unvorhergesehenen Verzögerung. Die Kunstpause zwischen Teil 2 und Teil 3 hat einen einfachen Grund: Die Schreiberin klinkte sich für einen längeren Abstecher nach Berlin aus.

Doch nun zurück zu Paris. Die Strecke von Chaumont nach Paris zum Gare de l'Est dauert knapp zweieinhalb Stunden. Unser Coradia Liner (hergestellt von Alstom), der Mulhouse mit der Hauptstadt verbindet, braust zeitweise mit 160 Stundenkilometern durch die Landschaft. Vorbei an endlosen Getreidefeldern, am AKW von Nogent-sur-Seine, dann durch die Banlieus von Paris. 

Mit dem Zug in Paris anzukommen, ist immer ein Highlight. Keine Betonzweckbauten (Basel oder Bern, um nur einige Negativbeispiele zu nennen) begrüssen die Reisenden, sondern eine elegante und luftige Bahnhofsarchitektur. Der Gare de l'Est wurde 1850 von Napoleon III. eingeweiht und ist der älteste der Pariser Bahnhöfe.


Foto: Office du Tourisme Paris

Diese zu geniessen, ist allerdings nicht einfach. Naturgemäss kommen sich Anreisende und Abreisende samt Koffern, Kinderwagen usw. oft und gerne in die Quere. Während Ankommende sofort nach Angehörigen, der Metro, dem Taxistand oder den Bussen Ausschau halten, suchen Abreisende ebenso rasch den Abfahrtsquai ihres Zuges. Kurz: Bahnhofpassagiere haben meist keine Zeit, nach oben oder auf den Boden zu schauen.


  


Im Gare de l'Est würde sich das sehr lohnen. Dank unseres mitreisenden Pariser Bahnexperten Patrick Laval entdecken wir den "Kilometer Null", eine Tafel am Boden. 

Bei der Eröffnung des Gare de l'Est 1849 durch die Compagnie du Chemin de Fer de Paris à Strasbourg wurde der Nullpunkt am Boden angebracht. Entlang der Gleise wurden Kilometersteine bis nach Strasbourg gesetzt, damit der Lokführer immer wusste, wo er war. 

Kollege Patrick dämpft unsere Begeisterung mit dem Hinweis, dass die Plakette ursprünglich an einem anderen Ort war, dann aber bei den vielen Umbauten im Bahnhof an diesen Platz verschoben worden war. 

Und noch das: Am 4. Oktober 1883 fuhr der erste Orient-Express mit dem Ziel Konstantinopel ab Paris Gare de l'Est. 




Blickt man von der Kilometer-Null-Plakette hoch, entdeckt man unterhalb der Decke ein riesiges Gemälde. "Le Départ des poilus, août 1914" stammt vom amerikanischen Maler Albert Herter (1871-1950). Er schenkte das Gemälde der Compagnie des Chemins de Fer de l'Est 1926. Das Bild zeigt die Abfahrt von Soldaten im August 1914 an die Front. Der Maler widmete das Gemälde aber auch seinem Sohn Everit, der als Freiwilliger in den US-Truppen am Krieg teilnahm und 1918 bei Château-Thierry ums Leben kann.

Und was bedeutet poilus? Es stammt vom Wort poil (Haar). "Avoir du poil" bedeutet umgangssprachlich Mut zu haben.  

Das Gemälde von Herter ist eine Hommage an seine eigene Familie: Der Vater hat seinen Sohn in die Bildmitte gesetzt: Die Arme in den Himmel erhoben, einen Blumenstrauss im Gewehrlauf. Am linken Bildrand steht die Mutter von Everit mit gefalteten Händen. Ganz rechts der Vater, mit leicht geneigtem Oberkörper, in der einen Hand einen Blumenstrauss, die andere Hand auf dem Herz. Als würde er sich vor dem Grab seines Sohnes verneigen.

Mehr Informationen, auch über Sehenswürdigkeiten zum Gare de l'Este gibt's hier: https://www.garesetconnexions.sncf/fr/gares-services/paris-est

Das Ende des Umweges nach Paris ist schliesslich im Gare de Lyon erreicht. Mit zeitweise gegen 320 km/h Stundenkilometern bringt mich der TGV Lyria zurück nach Zürich. 

Vielleicht wird auf dieser Strecke künftig auch der Avelia Horizon verkehren. Die neuen Züge von Alstom sollen ab 2024 auf dem französischen Schienennetz eingesetzt werden.  Insgesamt 115 Fahrzeuge wurden bestellt. Davon sollen künftig 100 Züge in Frankreich und 15 im internationalen Verkehr eingesetzt werden. Die Höchstgeschwindigkeit dieses Fahrzeugtyps liegt bei 350 km/h. Mehr Informationen über den schnittigen Zug gibt's hier: https://www.alstom.com/fr/avelia-horizon-le-seul-train-grande-vitesse-deux-niveaux-au-monde



Avelia Horizon (Foto: Alstom)















Mittwoch, 7. Juni 2023

RR Rita reist: Auf Umwegen nach Paris

RR Rita reist: Auf Umwegen nach Paris: Nach Paris, das ist ja klar, fährt die Bahnliebhaberin mit dem TGV Lyria. In Zürich einsteigen, im Gare de Lyon in Paris aussteigen - dank e...

Samstag, 3. Juni 2023

Auf Umwegen nach Paris, Teil 2



Erster Blick auf die Altstadt von Chaumont


Prochain arrêt: Chaumont.

Die mittelalterliche Stadt ist vom Bahnhof aus bequem zu Fuss erreichbar. Wie in Langres, gibt es auch hier einen Säulenheiligen, der in einem kleinen Park zwischen Bahnhof und Altstadt steht.

In Langres war es der berühmte Philosoph Denis Diderot, der die Köpfe seiner Mitbürgerinnen und Mitbürger mit seinen modernen Gedanken entscheidend erhellte. 


In Chaumont ist es Philippe Lebon (1767-1804). Auch er trug bahnbrechend zur Erhellung bei.



Philippe Lebon


Allerdings nicht in, sondern über den Köpfen der Menschen. Lebon erfand das Leuchtgas. Seine Erfindung revolutionierte die Strassenbeleuchtung.


Lebons Erfindergeist war gross: 1801 meldete er ein Patent für einen Gasmotor an. Dieser Motor war bereits mit einer elektrischen Funkenzündung ausgestattet.


Lebon allerdings bekam bekam von seiner bahnbrechenden Erfindung nichts mehr mit. Mit nur 37 Jahren wurde er ermordet.


Am Tag, als sich Napoleon 1804 selbst zum Kaiser krönte, wurde Lebon in Paris tot aufgefunden. Er hatte an der festlichen Beleuchtung der Strassen mitgewirkt. Die Hintergründe der Tat wurden nie aufgeklärt. 


Für Chaumont steht heute ein anderes Wahrzeichen im Vordergrund: Der Bahnviadukt auf der Strecke Mulhouse-Paris. So bequem der Bahnhof in Chaumont für das Publikum gelegen ist: Um nach Paris zu gelangen, müssen die Züge am westlichen Stadtrand das tiefe Tal mit dem Flüsschen Suize überqueren. 


Dem aus Strassburg stammenden Architekten Eugène Decomble gelang das schier Undenkbare: In nur 15 Monaten zwischen 1855 und 1856 bauten 2500 Arbeiter Tag und Nacht an dem Bauwerk. 60’000 Kubikmeter Steine wurden verbaut.

  


Viadukt von Chaumont (Bild Office de Tourisme Chaumont)


Das Ergebnis: Das aus 52 Rundbögen bestehende Bauwerk ist 50 Meter hoch und 600 Meter lang und hat drei Etagen. Der Bahnviadukt gilt als einer der grössten in Europa. 


Auf der obersten Etage verkehren die Züge auf zwei Gleisen. Auf der mittleren Ebene sind die Kabel für die Signalisationen untergebracht. Auf der untersten Etage spazieren Fussgängerinnen und Fussgänger. Besser gesagt: könnten. Denn bei meinem Besuch war der Durchgang gesperrt.Und das nicht erst seit gestern:  Ein nur mehr schwer lesbares Plakat kündigte die Sperre bereits 2018 an.


Gesperrter Fussgängerdurchgang



Doch auch ohne die Begehung imponiert das Bauwerk. Eine kundige Vertreterin des Tourismusbüros von Chaumont bemüht gar den Eifelturm in Paris als Vergleichsobjekt: Würde man die 52 Rundbögen übereinanderstapeln, käme man auf die Höhe des Pariser Wahrzeichens. 

 

Noch zwei Dinge gehören zur Geschichte der Brücke. 


Erstens: In den letzten Tagen des 2. Weltkriegs  sprengten deutsche Truppen vier Pfeiler, die später in Stahlbeton (mit Steinfassade) wiederaufgebaut wurden. .


Und zweitens: Der Viadukt schaffte es in den 70er und 80er Jahren als Kulisse in mehrere französische Filme. 


Der Viadukt ist vom Bahnhof aus zu Fuss gut erreichbar. Die Laufdistanz beträgt rund einen Kilometer. 


Wer mehr über Chaumont, seine Geschichte und die vielen Sehenswürdigkeiten wissen will, wird hier fündig: www.tourisme-chaumont-champagne.com


Chaumont vaut un détour!


Für mich geht es weiter nach Paris. Das schönste daran: Nach wenigen Minuten rollt man über den legendären Viadukt. Die leise Enttäuschung: Von oben erahnt man nichts von der unglaublich eleganten Konstruktion unter den Gleisen. 


Prochain arrêt: Paris Gare de l’Est.


Freitag, 2. Juni 2023

Auf Umwegen nach Paris

Nach Paris, das ist ja klar, fährt die Bahnliebhaberin mit dem TGV Lyria. In Zürich einsteigen, im Gare de Lyon in Paris aussteigen - dank einer Geschwindigkeit von maximal 320 km/h braucht es für die 489 km von Zürich in die französische Metropole nur 4 Stunden und 4 Minuten.

Es geht auch anders - und weitaus langsamer. Dafür entdeckt man viele Dinge. 

Frankreichs Regionalzüge TER führen irgendwie ebenfalls alle nach Paris, wenn auch auf interessanten Umwegen. In meiner Variante* war es eine Fahrt durch den Grand Est. Dazu gehören die Regionen Elsass (Alsace), Lothringen (Lorraine) und Champagne-Ardenne. 

Von Basel geht es nach Strassburg. Dort steige ich in den Zug nach Epinal um. Der TER ruckelt in südliche Richtung durch das Vallée de la Bruche, das, soviel lässt sich aus dem Fenster erahnen, ein Paradies für Wanderer und Bikerinnen sein muss. Mehr Infos dazu auf www.valleedelabruche.fr

Auch Geschichtsinteressierte kämen hier auf ihre Kosten: In Schirmeck steht das Mémorial Alsace Moselle. In dem futuristisch anmutenden Bau wird die wechselvolle Geschichte des Elsass ab 1870 multimedial ausgebreitet (memorial-alsace-moselle.com)

In Epinal wechsle ich auf den Zug nach Lure, und weiter geht's immer schön südwärts. Paris läge im Nordwesten. In Lure schliesslich biegt der TER scharf nach Westen ab nach Langres.  

Das zwischen 300 bis 400 m hohe Plateau de Langres ist eine Kalksteinformation und einer der grössten Wasserspeicher Frankreichs. Hier entspringen die Flüsse Aube, Marne, Maas und Seine. Das Plateau ist Teil der Europäischen Hauptwasserscheide.


Langres (Foto: Office de Tourisme du Pays de Langres)

Das Städtchen Langres liegt auf einem Hügel und ist von einem vier Kilometer langen Festungsgürtel eingefasst. Die sieben Türme gelten als Meisterwerke der Militärarchitektur des Spätmittelalters. 

Berühmtester Bürger von Langres war Denis Diderot (1713-1784). Der für seine scharfe Zunge gefürchtete  Philosoph machte die Aufklärung in Europa bekannt. Sein Ziel: Die göttliche Autorität durch irdische zu ersetzen, Regeln zu finden, die sich nicht vom Himmel, sondern aus dem menschlichen Zusammenleben ableiten liessen. Merci Monsieur Diderot! Aus seiner Feder stammt die „Encyclopédie“, das erste französische Kompendium modernen Wissens. 



Auch ein Schweizer hinterliess in Langres Spuren: Ingenieur Niklaus Riggenbach (1817-1899). Noch nie von ihm gehört? Dann drängt sich umgehend eine Fahrt mit der Zahnradbahn auf die Rigi hinauf. Denn Riggenbach ging als Erfinder der Zahnradbahnsystems und Erbauer der Rigi-Linie in die Geschichte ein.


Niklaus Riggenbach

Und was hat das mit Langres zu tun? 

1857 wurde der Bahnhof Langres-Marne von der Bahngesellschaft Chemins de fer de l’Est in Betrieb genommen. Er liegt an der Bahnstrecke Paris–Mulhouse. Das Problem: Der Bahnhof befindet sich 130 Meter tiefer als das befestigte Städtchen Langres. Das Militär drängte jedoch auf eine Station an der Zitadelle. 

Das bedingte einen spektakulären Bau: Die  1472 Meter lange Strecke überwand einen Höhenunterschied von 132 Meter und wies eine maximale Steigung von 172 Promille auf. Ingenieur Riggenbach war seit 1881 an der Planung beteiligt und hatte die Installation einer Zahnstange vorgeschlagen. Sein Konzept mit zwei Gleisen wurde jedoch verworfen. Es musste eine eingleisige Variante sein. Riggenbach wurde durch andere Ingenieure ersetzt. Sein System einer Zahnstange wurde jedoch beibehalten.  

Diese Zahnstange  wurde auf zwei insgesamt 938 Meter langen Abschnitten angebracht. Weil das Militär keinen Tunnelbau wünschte, wurde der Bau eines 63 Meter langen Viadukts auf gemauerten Pfeilern nötig, um das Gleis auf die Krone der Befestigungsmauer zu führen.

Am 6.November 1887 dampfte die erste Bahn über die steile Rampe in die Zitadelle hoch. Ob Riggenbach beleidigt war, weil sein Doppelspur-Konzept nicht  umgesetzt worden war, wissen wir nicht. Auf Meriten war er damals aber schon nicht mehr angewiesen. 

Die Zahnradbahn in voller Fahrt (Bild: Collection Gisèle Peter)
)

Denn bereits 1871 hatte die Vitznau-Rigi-Bahn mit dem System Riggenbach den Betrieb aufgenommen - als erste Bergbahn Europas. Erbaut von den Ingenieuren Niklaus Riggenbach, Ferdinand Adolf Naeff und Olivier Zschokke.

Während die Rigi-Bahn noch heute Gäste aus der ganzen Welt auf  den Gipfel hochbringt, erinnert in Langres nur noch ein einsamer gelb-roter Bahnwagen oben auf der Rampe an die vergangenen Zeiten. Der Wagen steht auf einem kurzen Gleisstück mit Riggenbachs Zahnstange und sieht reichlich verwittert aus. 


(
Das Überbleibsel (Foto: Jean-François Feutriez)

Der Betrieb war im Februar 1971 wegen Überalterung eingestellt worden. Heute brausen Busse und Autos in die Zitadelle hoch. Den altersschwachen Bahnwagen kann man noch immer besichtigen und sich über diese Ermahnung amüsieren: "DEFENSE DE FUMER ET DE CRACHER"

Langres - ça vaut le détour!

Und nun geht es weiter in Richtung Paris. Prochain ârret: Chaumont. 

Auch hier finden Bahnfreunde- und freundinnen einen Leckerbissen. Mehr davon demnächst. 


* Die zweitägige Bahnreise fand im Rahmen einer Exkursion der Bahnjournalisten Schweiz

statt. 

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