Auch mit Wolke eine Wucht: Das Matterhorn. |
Dort gibt es seit kurzem eine neue Bahn, die erstmals die Schweiz und Italien über die Alpen verbindet. Sie schliesst das Teilstück zwischen Klein Matterhorn auf 3883 m Höhe mit der Station Testa Grigia, wo die Grenze zwischen der Schweiz und Italien verläuft.
Zu den Vorbereitungen dieser Expedition gehörte der Kauf des Tickets für die spektakuläre Traverse unterhalb des ikonischen Matterhorns. Nach einigen Stolperern gelang es mir, das Ticket online zu erwerben. Stolperer? Wer im Besitz eines SwissPass Mobile ist, kann sich das Billett nicht wie gewohnt aufs Handy laden, sondern muss den Kauf auf die physische Karte laden und diese dann auf die Expedition mitnehmen.
Ein permanentes Ärgernis: Der Bahnhof von Visp
Und dann gings nach Zermatt. Die Herausforderungen der Überquerung des 3883 hohen Klein Matterhorns fingen bereits in Visp (658 m ü. M.) an. Der Zug aus Zürich via Bern, Ankunft um 9.02 in Visp, war proppenvoll mit Gästen nach Saas Fee und Zermatt.
Und alle landeten im Flaschenhals von Visp: Die Abgänge (und ergo auch die Aufgänge) zu den Perrons sind skandalös eng. Eilige Passagiere, gehbehinderte Passagiere, Passagiere mit Gepäck und Kinderwagen - alle werden sie in die eklatant engen Abgänge gezwungen. Der Langsamste bestimmt das Tempo. Was sich die Bauherrschaft beim Umbau 2006 gedacht hat, bleibt schleierhaft.
Resilienz war danach auch in der Visp-Zermatt-Bahn gefordert. Einen einzigen Erstklasswagen gabs, obwohl der Ansturm von Fahrgästen gross war.
Zermatt ist ein wunderbarer Ort, der Spaziergang zur Talstation ein Vergnügen. Ein kurzes Vergnügen, leider. In der Talstation von Zermatt herrschte ein infernalischer Baulärm. Glücklicherweise erfolgte der Einstieg in die Gondel zügig.
Von Zermatt gings hoch nach Furi, Schwarzsee zum Trockenen Steg. Ab hier fahren die neuen Panoramakabinen, deren Design vom italienischen Designstudio Pininfarina stammt. Die Fahrt auf das Klein Matterhorn - pardon: Matterhorn Glacier Paradise wie die Station neuerdings heisst, dauerte nur wenige Minuten.
Das neue Teilstück nach Testa Grigia |
Wir beschlossen, die höchstgelegene Bahnstation Europas auf dem Rückweg in Augenschein zu nehmen und fuhren gleich weiter nach Testa Grigia. Unter uns erstreckte sich der Theodulgletscher, auf einer präparierten Piste tummelten sich ziemlich viele Skifahrer.
Die Schweizer Station auf Testa Grigia. |
Bis jetzt funktionierte der SwissPass in Kartenform bestens bei allen Drehkreuzen. Das böse Erwachen kam auf der italienischen Seite der Station Testa Grigia. Das Drehkreuz zur italienischen Seilbahn machte keinen Wank. Ein mürrischer Angestellter beschied uns, dass die Karte in Italien nicht gültig sei, wir müssten ein Ticket kaufen gehen. Alle Versuche, ihm zu erklären, dass wir die gesamte Strecke im Voraus gebucht und bezahlt hätten, waren vergeblich.
Wir kehrten zur Kasse auf Schweizer Boden zurück und wiesen unsere Karten vor. Der Schalterangestellte legte die Dinger auf einen Kartenleser - alles war ok. Zur Sicherheit begleitete er uns zurück auf italienischen Boden, redete kurz mit dem Angestellten und hielt dann unsere Karten an den elektronischen Kartenleser - und zack: Das Drehkreuz öffnete sich.
Bergsteiger und und Skifahrer drängten in die grosse Kabine, die Testa Grigia mit der Station Cime Bianche Laghi verbindet. Wir stellten bald fest, dass die Gondelbahnen auf der italienischen Seite ziemlich veraltet sind. In der kleineren Gondel ab Cime Bianche Laghi liessen sich die Kabinentüren nicht mehr komplett schliessen.
Die Talstation in Cervina (links) mit der Bauruine. |
Nach dem mondänen Zermatt, den rundum erneuerten Bergstationen mit ultramodernem Bahnmaterial ist die Einfahrt nach Cervinia ein kleines Schockerlebnis. Die Talstation ist arg in die Jahre gekommen. Noch brutaler fürs Auge ist der Anbau zur Station. Es handelt sich um eine riesige und grausliche Bauruine, notdürftig mit Holzbrettern gegen die Strasse gesichert.
Ein rascher Blick ins Internet schaffte uns Klarheit: Bei der Ruine handelt es sich das einstmals imposante "Grande Albergo del Breuil – Gran Baita", das am 1. Juni 1937 eröffnet worden war. Nur zwei Jahre später brach in den obersten Stockwerken ein Feuer aus. Der Schaden wurde damals behoben. Das endgültige Aus kam am 8. Juli 1973. Erneut brach ein Feuer aus, und zerstörte weite Teile des Hotels.
Und so sah das Luxushotel in seiner besten Zeit aus. |
44 (!) Jahre später entschloss sich eine Gruppe von Unternehmern, die Ruine zu kaufen und daraus wieder ein Grand Hotel für 250 Gäste zu errichten. Der Wiederaufbau werde bald starten, hiess es 2017 in Cervinia. Seither sind wieder sechs Jahre ins Land gegangen, die Ruine gammelt weiter vor sich hin.
Wer mehr über die Ruine wissen will, wird hier fündig: https://www.cerviniaicons.com/mountain/2017/04/la-gran-baita/
Breuil Cervinia, wie der Ort korrekt heisst, zeichnet sich durch einen wilden Architektur-Mix aus. Nach einem reichhaltigen Apero in der einzigen verkehrsfreien Strasse von Cervinia machten wir uns wieder auf den Rückweg.
Auch auf 3492 Metern thront eine Ruine
Ganz entspannt, weil der SwissPass tadellos funktionierte, konnten wir die grandiose Berglandschaft in den Blick nehmen. Im Sommer ist die italienische Seite alles andere als aufregend. Eine graue Gerölllandschaft, durchzogen mit Skiliften. Und noch einer Ruine! Von blossem Auge ist das Gebäude auf der Furggen kaum zu erkennen. Der 3492 Meter hohe Berg liegt auf der italienisch-schweizerischen Grenze, ganz nahe beim Matterhorn und dem Furgghorn.
Hier oben wollte Cervinia eine Bahnstation bauen. "Kühn wie ein Adlerhorst und avantgardistisch wie ein Raumschiff sollte die Bergstation an der Felskante hoch über dem Abgrund thronen", heisst es auf der Onlineplattform Retrofuture (http://www.retrofutur.org/), die sich unter anderem mit Infrastruktur im Gebirge beschäftigt. Die geplante Seilbahn sollte die Station Plan Maison mit der Furggen verbinden.
Für das ambitionierte Projekt wurde einer der bekanntesten Architekten Italiens, Carlo Mollino, engagiert. "Mollinos Entwurf sah grosszügige über der Tiefe schwebende Plattformen vor, die von eleganten Strukturelementen getragen werden sollten, gekrönt von einem Restaurant mit weiter Glasfront", heisst es in Retrofuture weiter.
Doch Molinos Entwurf von 1951 konnte wegen der enormen Baukosten nicht umgesetzt werden. Stattdessen wurde eine einfache Seilbahnbergstation gebaut. Die passionierten Skifahrer kamen dennoch. Die Skiabfahrt mit der Nummer 9 galt als eine der spektakulärsten, aber auch überaus gefährlichen im Alpenraum.
Im März 1993 fegte ein Eissturm über die Anlage, das Zugseil riss unter der Last des Eises. Die Bahn musste ihren Betrieb einstellen. Auf ein Wiederaufbau wurde verzichtet. Nun steht eine Ruine mehr in den Bergen.
Und was war mit dem Matterhorn, das ja schliesslich mit ein Grund war, warum wir die Fahrt unternahmen? Es zierte sich wie eine richtige Diva. Das oberste Drittel war praktisch den ganzen Tag in Wolken gehüllt. Erst kurz vor der Einfahrt in Zermatt war plötzlich ein winziger Teil der Spitze zu sehen.
Dabei scheut Zermatt keine Kosten, den Feriengästen den berühmten Berg aus allen erdenklichen Winkeln zu zeigen. Dazu gehört die "Lupe", eine kreisrunde Konstruktion auf dem ersten Seilbahnmast nach Zermatt. Durch sie wird ab 2024 die neue Gondelbahn führen, die derzeit noch gebaut wird. Sie wird die Gäste via Furi und Trockener Steg auf das Klein Matterhorn führen. Beim Passieren der Lupe sollen die Passagiere das Matterhorn voll im Blick haben. Wenn sich die Diva zeigt...
Lohnt sich die Traverse nach Cervinia und umgekehrt? Oder anders gefragt: Werden die Touristinnen und Touristen aus Asien, die in Italien ankommen und nach Frankreich weiterreisen wollen, diesen neuen Weg über Zermatt wählen? Das gilt dito für die Gäste, die in Deutschland ankommen und nach Italien weiterreisen wollen. Darauf hoffen die Tourismusverantwortlichen in Zermatt.
An ihnen dürfte es auf jeden Fall nicht liegen. In der Zermatter Talstation wird derzeit eine Gepäckabfertigung eingerichtet. Wie im Flughafen sollen die Transitreisenden ihr Gepäck abgeben können. Täglich sollen zwei Gepäcktransporte in beide Richtungen stattfinden.
Die grosse Frage: Macht auch Cervinia mit und erneuert rechtzeitig die veraltete Bahninfrastruktur bis Testa Grigia inklusive Gepäcktransport?