Donnerstag, 8. Februar 2024

Falkland V: Betrachtungen zum Wesen von Schrott




In einem Wohnquartier von Port Stanley

Fast alles, was der Falkländer zum Leben braucht, muss per Schiff oder Flugzeug angeschleppt werden. Das reicht von der schweren Baumaschine übers Auto bis hin zu Milch und Mineralwasser britischer Provenienz. 

Auf die Inseln kommt alles - von den Inseln geht (fast) nichts mehr weg. Zu diesem banalen Schluss bin ich nach der knapp zehntägigen Tour durch Falkland gekommen. 

Was passiert mit der Bagger, mit dem Range Rover, wenn sie kaputt sind, was passiert mit der leergetrunkenen Cola-Büchse? Sie bleiben auf der Insel als rostender Abfall, die Büchse wandert in die Abfallgrube. 

Der Falkländer hat sich damit arrangiert. Spaziert man durch Port Stanley, tun sich zwischen den schmucken Häuschen immer mal wieder Leerflächen auf, auf denen ausrangierte Autos und anderer Abfall für die nächsten 100 Jahre deponiert wird. 

Auf dem Weg von unserer Lodge zuoberst in Stanley durchqueren wir regelmässig ein grosses Gelände mit Lagerhäusern, Baubetrieben, Handwerksschuppen und vielem mehr. Auf den Arealen stappeln sich von kaputten Lastwagen, Baumaschinen, Metallstangen bis hin zu ausgemusterten Pneus alles, was mal nützlich war und nun zu nichts mehr zu gebrauchen ist. Sogar eine Militärkanone rostet am Strassenrand ungestört vor sich hin. 


Im Gewerbegebiet von Port Stanley

Auf unseren Ausflügen durch die grandiose Landschaft von Ostfalkland treffen wir immer mal wieder auf eine ausrangierte Baumaschine oder einen Traktor, der am Ort seines letzten Einsatzes einfach stehengelassen wurde. Und neben Farmen stehen oft mehrere ausrangierte Jeeps und Range Rover. 

Klar, sprechen wir Leute darauf an. Und erhalten stets die gleiche Antwort. Der Abtransport per Schiff zu Verschrottungsfabriken und Recyclinganlagen in Grossbritannien oder Südamerika sei viel zu teuer. Alubüchsen hingegen würden zusammengepresst und nach England zurückspediert, erklärt uns ein Mann in Stanley. Und der Glasabfall werde zerkleinert und im Strassenbau wiederverwertet. 

Auch bringen wir in Erfahrung, dass in Port Stanley eine Kehrrichtverbrennungsanlage geplant sei. Wann sie ihren Betrieb aufnehmen wird, weiss indessen niemand genau. 

Na, wenigstens das, denken wir uns. 

Gewöhnt man sich an diesen Anblick? Möglicherweise. Aber in Port Howard auf Westfalkland trifft uns dann doch fast der Schlag. Kaum in der Lodge von Wayne und Sue angekommen, beschliessen wir, den "Hausberg" des hübschen kleinen Ortes zu erwandern: den knapp 660 m hohen Mount Maria. Das Wetter ist prächtig und wir kommen gut voran. 


Von Port Howard aus nicht zu sehen: Der Autofriedhof


Und gleich daneben die Abfallgrube

Doch kaum haben wir den ersten Vorhügel erreicht, ist es fertig mit Natur pur. Vor uns breitet sich ein grosser Autofriedhof aus. Wir entdecken uralte Lastwagen und natürlich Jeeps aller Art und Range Rover. Daneben wurde ein Kanal im Torfboden ausgegraben, wo der Haushaltsabfall deponiert wird. Volle Windeln, eine Spielzeugpuppe, kaputte elektronische Geräte, Flaschen, Aludosen (aha, mit dem Recycling klappt es doch nicht so!), Batterien und vieles mehr lagern dort unter freiem Himmel. Von Port Howard aus ist das alles nicht sichtbar. Aus den Augen, aus dem Sinn. 

Wir wandern weiter und als wir nach drei Stunden die 660 m fast geschafft haben, geniessen wir die phänomenale Aussicht auf die Bucht von Port Howard, auf den Falkland-Kanal, der die beiden grössten Inseln zweiteilt, auf die Bergzüge links und rechts von uns. Der Schrottplatz ist aus der Ferne winzig klein - aber nicht zu übersehen, weil der Metallabfall im Sonnenlicht glitzert. 

Und dann trifft uns der nächste Schlag. Zuoberst auf dem Mount Maria rosten Antennenanlagen und dazugehörige Container vor sich hin. Die Telecom-Anlage war vor Jahren aus dem Betrieb genommen worden und steht nun bis in alle Ewigkeit als Abfall da.

Auf dem Mount Maria: Funkanlage, seit Jahren ausser Betrieb. 

Da zwei der drei Container noch intakt sind, deren Türen aber nicht verriegelt sind, machen wir uns auf eine Entdeckungstour. Die Erfahrung ist skurril: Die Innenräume wirken so, als hätte das Personal eines Morgens die Anlage einfach abgestellt und sich dann davongemacht. In einer winzigen Küche steht das Geschirr noch im Spülbecken, wenn auch alles mittlerweile rostet und zerfällt, neben dem Becken hängt noch immer ein voller Abfallsack. Im Raum daneben lagern Matratzen auf zwei Etagenbetten. In einer weiteren Ecke sind auf einem kleinen Büchergestell fein säuberlich geordnet Gebrauchsanweisungen, Inspektionsberichte und Formulare aller Art platziert. 




Die Küche

In diesen Unterlagen entdecke ich eine Gebrauchsanweisung von Studer Revox, dem einst für seine Tonbandgeräte legendären Betrieb in Regensdorf ZH. Offensichtlich kamen Revox-Produkte auch auf dem Mount Maria zum Einsatz. 

Ich entschliesse mich, einen wichtigen, wenn auch zugegebenermassen nur winzigen Beitrag zur korrekten Entsorgung zu machen und packe eine intakte Teetasse mit dem Wappen von Falkland in meine Tasche. 

Auf dem Rückweg vermeine ich ein Glitzern in den Augen von Kollege Stefan zu entdecken. Und tatsächlich: Auch er will plötzlich einen Beitrag zur korrekten Entsorgung machen. Auf dem Autofriedhof hat er Fahrzeuge entdeckt, die noch immer das gelbe Kontrollschild von Falkland Islands tragen. Offenbar gehören auch sie zum Abfall. 

Als unser Gastgeber Wayne erklärt, dass es kein Problem sei, die Schilder abzumontieren, machen wir uns anderntags ans Werk. Unsere Ausbeute besteht aus fünf Schildern. Beim Herumklettern bemerke ich, dass in vielen Fahrzeugen noch die Schlüssel stecken und auch ganz anderer Abfall in den Wagen geladen wurde, bevor er hier landete. Weil die Schilder - anders als bei uns - aus Kunststoff bestehen, fühlen wir uns bezüglich Grenzkontrolle am Flughafen auf der sicheren Seite. 


Ich "entsorge" ein Autoschild fachgerecht.....

Nachtrag: Nach der Gepäckaufgabe am RAF Mount Pleasant wollte ich es mir gemütlich machen im Wartesaal. Doch dann wurde mein Name aufgerufen. Eine freundliche Polizistin bat mich nach draussen. Man bat mich, meinen Koffer zu öffnen. Der Grenzbeamte, auch er von ausgesuchter Höflichkeit, durchsuchte danach akribisch mein Gepäck. Als er das Fach öffnete, in das ich mein Autoschild verstaut hatte, lachte er und klappte den Koffer wieder zu. 


Die Tasse fügt sich in Zürich prächtig in die Sammlung völlig überflüssiger Reisesouvenirs




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