Dienstag, 25. Juni 2024

Wenn sich Bauherrin und Architekt hassen


Traum oder Alptraum?

Auf dem Pflichtprogramm jeder Architekturreise in Chicago steht die Besichtigung des Farnsworth House in der Nähe der Stadt Plano, rund eine Stunde Autofahrt westlich von Chicago. Luftig und leicht sind die ersten Begriffe, die einem in den Sinn kommen, wenn man vor dem 140 m2 grossen Landhaus am Fox River steht. Das eingeschossige Haus steht auf 1,6 m hohen Stelzen und ist rundherum verglast.

Von jedem Raum aus hat man einen ungehinderten Blick auf eine grosse, von alten Bäumen umgebene Wiese und auf den träge dahinfliessenden Fluss. Wobei der Begriff "Raum" so nicht stimmt. Wohn- und Esszimmer, Schlafzimmer und Küche sind ein grosser Raum. Nur in der Mitte gibt es einen Block für Installationen wie Strom, Wasser, Bad, Toilette, Küchenzeile usw. 

Ein Traum von einem Haus, sind wir Besucherinnen uns einig. Für Edith Farnsworth und Ludwig Mies von der Rohe wurde es zum Alptraum. 

Edith wurde 1903 in eine angesehene Familie geboren, die ihr Vermögen in der Holzindustrie gemacht hatte. Die Farnsworth residierten im Prominentenviertel Gold Coast in Chicago, einem historischen Stadtteil nordwestlich des Stadtzentrums Loop. Bis in die 30er Jahre lebte Edith vor allem im Ausland und arbeitete an ihrer Karriere als Konzertviolonistin. 

Doch mit 30 Jahren entschied sich Edith für eine Zukunft in der Medizin. Sie studierte an der Northwestern University Medical School, was alles andere als einfach war. Damals gab es noch eine "Frauenquote", pro Abschlussklasse waren nur vier Frauen zugelassen. Edith reüssierte und und wurde zu einer angesehenen Ärztin. So gelang es ihr beispielsweise mit einer neuen Therapie Nierenentzündungen zu therapieren. 

An einer Dinner Party 1945 lernten sich Edith Farnsworth und Ludwig Mies van der Rohe kennen. Edith beauftragte den damals bereits berühmten Architekten mit der Planung eines Wochenendhauses in Plano. Dort wollte sich die Ärztin erholen und ihren Hobbies, wozu vor allem Hunde gehörten, ungestört nachgehen. 


Zwischen den beiden entspannte sich eine intensive intellektuelle Beziehung mit häufigen Picknicks am Fox River und spätabendlichen Treffen in Mies von der Rohes Büro. In den Klatschspalten hiess es, dass wohl mehr dahinter stecke als nur intellektueller Austausch. Der verheiratete Mies van der Rohe war bekannt als Frauenheld.

Mies van der Rohe betrieb einen enormen Planungsaufwand und investierte bis zur Fertigstellung 1950 bis 1951 Tausende von Arbeitsstunden in das Wochenendhäuschen. Und so nahm das Drama seinen Lauf. Noch vor der Fertigstellung verklagte der Architekt die Bauherrin auf die Zahlung von unbeglichenen Rechnungen in der Höhe von 28'173 Dollar. 

Ursprünglich hatte Edith an Baukosten von 8000 bis 10'000 Dollar gedacht. Vertraglich vereinbart wurden schliesslich 58'400 Dollar, die Schlussrechnung betrug 74'000 Dollar. Das wollte die Bauherrin nicht zahlen und konterte mit einer Gegenklage. 

Der juristische Zoff unter Prominenten wurde von den Medien genüsslich begleitet.  

Während Mies van der Rohe sein Credo "weniger ist mehr" gnadenlos umsetzte - er selber erklärte, das  Farnsworth House bestehe aus "praktisch nichts" - beklagte Edith die Unbewohnbarkeit. „Das Haus ist durchsichtig wie ein Röntgenbild. Ich wollte etwas 'Bedeutungsvolles' haben, und alles, was ich bekam, war diese aalglatte Spitzfindigkeit. Wir wissen, dass weniger nicht mehr ist. Es ist einfach weniger."

Ihr Fazit: "Die Glas-Stahl-Konstruktion ist unbewohnbar. Mies spricht vom offenen Raum, aber der Raum ist sehr festgelegt. Ich kann nicht einmal einen Kleiderbügel im Haus aufhängen, ohne mich zu fragen, wie das den Blick von aussen verändert. Jede Umstellung von Möbeln wird zum Problem."

Im Sommer, so erzählte die Ärztin in einem Bericht im "Newsweek" fühle sich das Haus wegen fehlender Kühlung und mangelhafter Ventilation "wie eine Fahrt bei prasselndem Regen in einem Auto an, dessen Scheibenwischer nicht funktionieren". 

Und wie ging der juristische Streit aus? Ludwig Mies von der Rohe gewann die Auseinandersetzung vor Gericht. Die beiden hätten sich bis an ihr Lebensende gehasst, schrieb der US-Schriftsteller und Journalist Alex Beam in seinem Buch "Broken Glass", das die Geschichte des Farnsworth House nachzeichnet. 

Edith Farnsworth nutzte das Haus dennoch fast 21 Jahre lang. In dieser Zeit wurde das Gebäude  teilweise überflutet, was zu erheblichen Schäden führte. Fünf Jahre vor ihrem Tod verkaufte sie die Liegenschaft. 

Und heute bewundern wir die Konstruktion als luftig und leicht. Dabei ist praktisch nichts mehr original. Immer wieder kam es in den letzten Jahren zu Überschwemmungen mit entsprechenden Schäden. 1996 stand die Wohnung 1,5 m unter Wasser. Einer der kuriosesten Schäden an diesem Tag: Die Wassermassen lösten ein Porträt, das Andy Warhol von Liz Taylor gemacht hatte von der Wand. Das Werk wurde in den Fox River geschwemmt und ward nicht mehr gesehen.

Seit das Haus 2006 zum Nationalen historischen Wahrzeichen deklariert wurde, bricht der Besucherstrom nicht mehr ab. Wie stellte doch Edith Farnsworth während der juristischen Fehde fest, dies allerdings mit bitterem Unterton: "Mein Haus ist ein Denkmal für Mies von der Rohe, und ich bezahle dafür." 


Das Wohnzimmer



Das Schlafzimmer



Die Architektur hat sogar die Verantwortlichen des dänischen Spielwarenherstellers LEGO entzückt. Mit 546 Teilen kann das Farnsworth House nachgebaut werden. 


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