Wer an Verkehrsregeln gewöhnt ist und an Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer, die diese auch einhalten, kommt auf Hanois Strassen brutal auf die Welt. Hier herrscht pure Anarchie. Gar nichts zu melden haben Fussgänger. Sie sind ein reiner Störfaktor im reibungslosen Moped- und Autoverkehr. Und nichts hassen diese Verkehrsteilnehmer mehr, als abzubremsen - schon gar nicht für eine Fussgängerin. Wie bereits erwähnt: 5 Millionen oder mehr Mopeds strömen durch die Strassen.
Unser liebenswürdiger Dolmetscher gab sich jeweils alle Mühe, uns bei gemeinsamen Ausflügen sicher auf die andere Seite zu bringen. Wagemutig betrat er jeweils die Strasse und hob beide Arme, wir folgten ihm mit Herzklopfen, Stossgebete murmelnd und jubelnd, wenn wir die andere Strassenseite unfallfrei erreicht hatten.
Ein deutsches Reisemagazin verglich diese Situation einst mit Moses, der seine Hand ausstreckte, das Meer teilte, auf dass sein Volk hindurch ziehen konnte - ein biblisches Wunder eben.
Auch in Hanoi gibt es Verkehrsampeln und Zebrastreifen, doch haben sie rein dekorativen Zweck. Zeigt die Ampel grün für die Fussgänger, brausen die Mopeds ungerührt vor und hinter einem vorbei, gefolgt von den Autos.
Auch die Trottoirs kann man als Fussgängerin glatt vergessen. Auf dem Trottoir werden Autos und Mopeds geparkt, die Roller nutzen diese Fläche auch gerne als Ausweichstrasse für das Überholen.
Und für die Garküchen, für die Vietnam berühmt ist, ist der Fussgängerstreifen Teil des Restaurants, wo von morgens bis abends Gemüses gerüstet, gekocht und abgewaschen wird - gerne kauernd oder auf winzigen Schemeln sitzend. Auch die Gäste schlürfen ihre Nudelgerichte und Suppen vorzugsweise auf Kinderplastikstühlen sitzend auf dem Trottoir.
Trotzdem bin ich stundenlang zu Fuss durch Hanoi gewandert. Mein Trick: Kleine Seitenstrassen benutzen, weil sich dort weniger Verkehr hindurchzwängen kann. Funktionierte dieser Trick nicht, versuchte ich beim Überqueren diskret Einheimischen zu folgen, die ungefähr in gleicher Richtung wie ich unterwegs waren.
Umso irritierter war ich, als ich in einer breiten Allee ins Stadtzentrum unterwegs war und plötzlich realisierte, dass ich der einzige Mensch zu Fuss auf dem breiten Trottoir war. An der rund einen Kilometer langen Strasse namens Nguyen Tri Phuong reihten sich zu meiner Linken ein Army Hotel, zahlreiche Militärkasernen und das pompöse Verteidigungsministerium in einem riesigen Parke aneinander. Bleibt man stehen, um sich die Sache anzusehen oder gar ein Foto zu machen, weisen einem Wachsoldaten unmissverständlich auf, weiterzugehen.
Was wohl erklärt, weshalb ausser mir kein Mensch auf dieser Strassenseite läuft.