Die Skyline im Stadtzentrum von Chicago vom Lake Michigan aus betrachtet. |
Chicago gilt als Geburtsstätte des Hochhauses. Das 1885 erbaute Home Insurance Building war das erste Bauwerk, das mit einem Stahlskelett errichtet wurde und mit 10 Etagen eine Höhe von 42 Meter erreichte. Die Chicagoer klopften sich auf die Schulter, konnten sie der Welt doch das erste moderne Hochhaus präsentieren. Würde das Gebäude heute noch stehen, wäre es ein Winzling.
Denn das Rennen war eröffnet. Mit über vierhundert Wolkenkratzern liegt die Stadt mittlerweile auf Platz zwei hinter New York. Klar, dass auch Donald Trump, mit einem enormen Ego ausgestattet, hier mitmischen wollte. Er schaffte es mit dem Trump Tower (423 Meter) allerdings nur auf Platz zwei. Der Tower mit einem Hotel und Wohnungen wurde 2009 eingeweiht.
Wir wollten uns natürlich die Gelegenheit nicht entgehen lassen und besuchten das Restaurant im 16. Stockwerk mit einer grossen Terrasse. Der Service war ziemlich chaotisch, auf jeden Fall verliess ich das Etablissement später ohne Getränk. Dafür ist die Aussicht auf den Chicago River und die umliegenden Wolkenkratzer atemberaubend.
Trump meets IMB |
Gleich nebenan ragt das dunkle IBM Building in die Höhe: Das 1971 eröffnete, 212 Meter hohe Gebäude wurde nach einem Entwurf von Ludwig Mies van der Rohe gebaut und gilt als sein Meisterwerk.
Der Architekt starb 1969 noch vor dem Baubeginn. Nach dem Auszug von IBM wurde der Wolkenkratzer in 330 North Wabash umgetauft. Mittlerweile befindet sich ein Hotel im Hochhaus.
Wrigley Building mit Turm. |
Auf der anderen Seite der Terrasse wird ein Kontrastprogramm geboten: Das Wrigley Building mit zwei unterschiedlich hohen Türmen. Das zwischen 1920 und 1924 errichtete Gebäude bietet einen wilden Mix aus Stilen, die von der Giralda, dem berühmten Glockenturm der Kathedrale von Sevilla kopiert wurden und von französischen Renaissancebauten. Auftraggeber war der amerikanische Kaugummi-Magnat William Wrigley Jr. Die beiden Türme, die lange Hauptsitz der Wrigley Company waren, sind mit Passerellen in luftiger Höhe verbunden.
Es gäbe noch viel zu erzählen über die Aussicht von dieser Terrasse. Doch alles wurde in diesem Augenblick in den Schatten gestellt durch ein einmaliges Spektakel. Eine heftige Windböe hob mehrere schwere Sitzpolster in unserer Tischnähe in die Luft und transportierte sie wie Papierfetzen auf der gut besetzten Terrasse herum. Es grenzte an ein Wunder, dass niemand erschlagen wurde. Wir alle waren so baff, dass niemand von uns eine Aufnahme machte. Beware of Trump!
Auf uns wartete nun Wolkenkratzer Nr.1: Der Willis Tower, 442 Meter hoch, mit den Antennen sogar 527 Meter. Der Tower besteht aus neun quadratischen Säulen in einer 3×3-Anordnung, die in unterschiedlichen Höhen enden.
Der Willis Tower aus der Ameisenperspektive. Dekoriert mit einer eigenwilligen Interpretation des dänischen Künstlers Olafur Eliasson. |
Über Jahre hinweg war er das höchste Gebäude der Welt. Die Aussichtsplattform Skydeck im 103. Stock erreicht man mit dem Lift in 45 Sekunden. Zur Attraktivität für die Besucherinnen und Besucher tragen auf der Westseite sechs verglaste Balkone bei, von denen es 412 Meter in die Tiefe geht - ein absolutes Must für Instagrammer.
Die Ameise wäre 412 m weiter unten unter meinen Füssen. |
Wäre die Eleganz das Mass aller Dinge, würde in meiner Präferenz The St.Regis den Sieg davon tragen - aus zwei Gründen: Erstens wurde der Tower von Jeanne Gang entworfen, einer der ganz wenigen Frauen in der Architekturszene von Chicago. Zweitens besteht das in hellem Blau gehaltene Ensemble aus drei unterschiedlich hohen Türmen, deren elegant geschwungene Form ins Auge sticht. Zu einer weiteren Besonderheit gehört, dass die unbewohnte 83. Etage offen ist. Man sieht die Stahlkonstruktion. Mit diesem Trick wird die Windkraft auf das Gebäude verringert, was die Schwankungen des Bauwerks reduziert.
The St. Regis von Jeanne Gang. |
Die offene Etage im 83. Stockwerk |
Jeanne Gang lernte ihr Handwerk nach dem Hochschulabschluss in den USA in Rotterdam beim berühmten Architekten Rem Koolhaas, bevor sie in Chicago ihr eigenes Büro eröffnete. 2009 erntete sie mit dem 262 Meter hohen Aqua Tower zahlreiche internationale Preise. Der Name des Bauwerks steht für die wellenförmige Gestaltung der Fassade, die sie St. Regis neu interpretierte.
Der Tribune Tower. Einziger Schönheitsfleck: Das pinkfarbene Museum for Ice Cream, das sich jedoch grosser Beliebtheit erfreut. |
Einen besonderen Eindruck hinterliess mir schliesslich der Tribune Tower, dies wohl vor allem aus beruflichen Gründen, weniger wegen der Architektur. Die "Chicago Tribune" die den Tower 1922 in Auftrag gab, gehört für mich zu den herausragenden Medien in den USA, die ich in elektronischer Form immer mal wieder lese.
Der Tower ist in neugotischem Stil gehalten mit Strebepfeilern an der Spitze - unter anderem inspiriert von der Kathedrale von Rouen. Doch nicht das faszinierte mich, sondern was in den Mauern auf Sichthöhe der Passanten eingebaut wurde: Gegen 150 Fragmente von weltberühmten Bauwerken. Die grosse Chinesische Mauer, Pompeii, der Vatikan, die Kathedrale Notre Dame, die grosse Pyramide von Gize - die Liste der Herkunftsorte ist beeindruckend.
Die Geschichte dazu: Auf Geheiss vom Mitherausgeber der Tribune, Colonel McCormick, sammelten die Korrespondenten vor dem Bau des neuen Headquarters Steine und Artefakte von historisch bedeutsamen Orten rund um den Globus. Der Grossteil davon wurde anschliessend beim Bau des Towers zur Zierde eingebaut.
Jüngste Zugänge: Ein verbogenes Metallstück vom 2001 zerstörten World Trade Center in New York und ein Stück Berliner Mauer. All dies lässt sich bei einem Spaziergang um das Gebäude betrachten.
Und die Schweiz? Bei meinem leider nur kurzen Rundgang entdeckte ich einen Stein vom Schloss Chillon am Genfersee mit dem Hinweis "Byron". Des Rätsels Lösung: Das Schloss Chillon wurde weltberühmt dank Lord Byrons Gedicht "Der Gefangene von Chillon".
Auch diesem Wolkenkratzer sei hier die Ehre erwiesen: Der Lake Point Tower, der von zwei Schülern von Ludwig Mies van der Rohe entworfen worden ist. Optisch wirkt er wie ein Solitär, weil er in einiger Distanz zu den anderen Türmen direkt am Lake Michigan steht. Als er 1968 eröffnet wurde, galt er als höchstes Apartment-Gebäude der Welt.
Spannende Frage: Wer wohnte mal hier oder tut es immer noch? Klar, viel Prominenz. Google findet die Namen vieler Sportstars, von denen ich keine Ahnung habe. Bei Celebrities aus dem Film kann ich schon eher mithalten: Mickey Rooney, Goldie Hawn, Kurt Russell oder der Rockstar Alice Cooper tauchen in der Namensliste auf. Wohl kein Wunder. Laut Google diente der Tower als Kulisse für zahlreiche Filme.
Die Spitze es Palmolive Buildings mit dem Leuchtfeuerturm (i.d.M). |
Und zu guter Letzt landen wir noch beim "Playboy" und seinem Erfinder Hugh Hefner. Die Geschichte dazu: 1929 bezog die weltbekannte Firma Colgate-Palmolive-Peet ein neues Hochhaus im hübschen Art-Deco-Stil am nördlichen Ende des Loop. Die Besonderheit am Skyscraper: Zuoberst stand ein verhältnismassig grosser schlanker Turm. Auf dessen Spitze wurde 1930 ein rotierendes Leuchtfeuer montiert, das die Flugzeuge sicher zum stadtnahen Midway Airport leiteten sollte. Der Scheinwerfer trug Namen des Flugpioniers Charles Lindbergh.
1965 übernahm Hefner das Palmolive Building und machte es zum Hauptsitz seines "Playboy"-Unternehmens. Damit man das nicht übersehen konnte, liess er den Namen "Playboy" mit 2,7 Meter hohen Leuchtbuchstaben zuoberst anbringen. 1989 zogen Hefner und der "Playboy" wieder aus.
Das Leuchtfeuer wurde übrigens 1981 eingestellt, nachdem sich Anwohner über das Leuchtfeuer beklagt hatten.
Als Hugh Hefner hier residierte und der Scheinwerfer arbeitete. |