Freitag, 28. Juni 2024

Wolkenkratzer - von unten und von oben betrachtet



Die Skyline im Stadtzentrum von Chicago vom Lake Michigan aus betrachtet.


Chicago gilt als Geburtsstätte des Hochhauses. Das 1885 erbaute Home Insurance Building war das erste Bauwerk, das mit einem Stahlskelett errichtet wurde und mit 10 Etagen eine Höhe von 42 Meter erreichte. Die Chicagoer klopften sich auf die Schulter, konnten sie der Welt doch das erste moderne Hochhaus präsentieren. Würde das Gebäude heute noch stehen, wäre es ein Winzling. 

Denn das Rennen war eröffnet. Mit über vierhundert Wolkenkratzern liegt die Stadt mittlerweile auf Platz zwei hinter New York. Klar, dass auch Donald Trump, mit einem enormen Ego ausgestattet, hier mitmischen wollte. Er schaffte es mit dem Trump Tower (423 Meter) allerdings nur auf Platz zwei. Der Tower mit einem Hotel und Wohnungen wurde 2009 eingeweiht. 


Alles auf einem Bild: Der helle Trump Tower, etwas verdeckt der schwarze IBM Tower von Mies van der Rohe. Vorne in der Mitte das Wrigley Building im Zuckerbäckerstil, rechts der Wolkenkratzer der Chicago Tribune im neugotischen Stil. 


Wir wollten uns natürlich die Gelegenheit nicht entgehen lassen und besuchten das Restaurant im 16. Stockwerk mit einer grossen Terrasse. Der Service war ziemlich chaotisch, auf jeden Fall verliess ich das Etablissement später ohne Getränk. Dafür ist die Aussicht auf den Chicago River und die umliegenden Wolkenkratzer atemberaubend. 


Trump meets IMB 


Gleich nebenan ragt das dunkle IBM Building in die Höhe: Das 1971 eröffnete, 212 Meter hohe Gebäude wurde nach einem Entwurf von Ludwig Mies van der Rohe gebaut und gilt als sein Meisterwerk. 

Der Architekt starb 1969 noch vor dem Baubeginn. Nach dem Auszug von IBM wurde der Wolkenkratzer in 330 North Wabash umgetauft. Mittlerweile befindet sich ein Hotel im Hochhaus.



Wrigley Building mit Turm.



Auf der anderen Seite der Terrasse wird ein Kontrastprogramm geboten: Das Wrigley Building mit zwei unterschiedlich hohen Türmen. Das zwischen 1920 und 1924 errichtete Gebäude bietet einen wilden Mix aus Stilen, die von der Giralda, dem berühmten Glockenturm der Kathedrale von Sevilla kopiert wurden und von französischen Renaissancebauten. Auftraggeber war der amerikanische Kaugummi-Magnat William Wrigley Jr. Die beiden Türme, die lange Hauptsitz der Wrigley Company waren, sind mit Passerellen in luftiger Höhe verbunden. 

Es gäbe noch viel zu erzählen über die Aussicht von dieser Terrasse. Doch alles wurde in diesem Augenblick in den Schatten gestellt durch ein einmaliges Spektakel. Eine heftige Windböe hob mehrere schwere Sitzpolster in unserer Tischnähe in die Luft und transportierte sie wie Papierfetzen auf der gut besetzten Terrasse herum. Es grenzte an ein Wunder, dass niemand erschlagen wurde. Wir alle waren so baff, dass niemand von uns eine Aufnahme machte. Beware of Trump! 


Auf uns wartete nun Wolkenkratzer Nr.1: Der Willis Tower, 442 Meter hoch, mit den Antennen sogar 527 Meter. Der Tower besteht aus neun quadratischen Säulen in einer 3×3-Anordnung, die in unterschiedlichen Höhen enden. 


Der Willis Tower aus der Ameisenperspektive. Dekoriert mit einer eigenwilligen Interpretation des dänischen Künstlers Olafur Eliasson.


Über Jahre hinweg war er das höchste Gebäude der Welt. Die Aussichtsplattform Skydeck im 103. Stock erreicht man mit dem Lift in 45 Sekunden. Zur Attraktivität für die Besucherinnen und Besucher tragen auf der Westseite sechs verglaste Balkone bei, von denen es 412 Meter in die Tiefe geht - ein absolutes Must für Instagrammer. 


Die Ameise wäre 412 m weiter unten unter meinen Füssen. 

Wäre die Eleganz das Mass aller Dinge, würde in meiner Präferenz The St.Regis den Sieg davon tragen - aus zwei Gründen: Erstens wurde der Tower von Jeanne Gang entworfen, einer der ganz wenigen Frauen in der Architekturszene von Chicago. Zweitens besteht das in hellem Blau gehaltene Ensemble aus drei unterschiedlich hohen Türmen, deren elegant geschwungene Form ins Auge sticht. Zu einer weiteren Besonderheit gehört, dass die unbewohnte 83. Etage offen ist. Man sieht die Stahlkonstruktion. Mit diesem Trick wird die Windkraft auf das Gebäude verringert, was die Schwankungen des Bauwerks reduziert.

 

The St. Regis von Jeanne Gang.



Die offene Etage im 83. Stockwerk

Jeanne Gang lernte ihr Handwerk nach dem Hochschulabschluss in den USA in Rotterdam beim berühmten Architekten Rem Koolhaas, bevor sie in Chicago ihr eigenes Büro eröffnete. 2009 erntete sie mit dem 262 Meter hohen Aqua Tower zahlreiche internationale Preise. Der Name des Bauwerks steht für die wellenförmige Gestaltung der Fassade, die sie St. Regis neu interpretierte. 

 


Der Tribune Tower. Einziger Schönheitsfleck: Das pinkfarbene Museum for Ice Cream, das sich jedoch grosser Beliebtheit erfreut.  


Einen besonderen Eindruck hinterliess mir schliesslich der Tribune Tower, dies wohl vor allem aus beruflichen Gründen, weniger wegen der Architektur. Die "Chicago Tribune" die den Tower 1922 in Auftrag gab, gehört für mich zu den herausragenden Medien in den USA, die ich in elektronischer Form immer mal wieder lese. 

Der Tower ist in neugotischem Stil gehalten mit Strebepfeilern an der Spitze - unter anderem inspiriert von der Kathedrale von Rouen. Doch nicht das faszinierte mich, sondern was in den Mauern auf Sichthöhe der Passanten eingebaut wurde: Gegen 150 Fragmente von weltberühmten Bauwerken. Die grosse Chinesische Mauer, Pompeii, der Vatikan, die Kathedrale Notre Dame, die grosse Pyramide von Gize - die Liste der Herkunftsorte ist beeindruckend. 



Die Geschichte dazu: Auf Geheiss vom Mitherausgeber der Tribune, Colonel McCormick, sammelten  die Korrespondenten vor dem Bau des neuen Headquarters Steine und Artefakte von historisch bedeutsamen Orten rund um den Globus. Der Grossteil davon wurde anschliessend beim Bau des Towers zur Zierde eingebaut.

Jüngste Zugänge: Ein verbogenes Metallstück vom 2001 zerstörten World Trade Center in New York und ein Stück Berliner Mauer. All dies lässt sich bei einem Spaziergang um das Gebäude betrachten. 

Und die Schweiz? Bei meinem leider nur kurzen Rundgang entdeckte ich einen Stein vom Schloss Chillon am Genfersee mit dem Hinweis "Byron". Des Rätsels Lösung: Das Schloss Chillon wurde weltberühmt dank Lord Byrons Gedicht "Der Gefangene von Chillon". 


Auch diesem Wolkenkratzer sei hier die Ehre erwiesen: Der Lake Point Tower, der von zwei Schülern von Ludwig Mies van der Rohe entworfen worden ist. Optisch wirkt er wie ein Solitär, weil er in einiger Distanz zu den anderen Türmen direkt am Lake Michigan steht. Als er 1968 eröffnet wurde, galt er als höchstes Apartment-Gebäude der Welt. 




Spannende Frage: Wer wohnte mal hier oder tut es immer noch? Klar, viel Prominenz. Google findet die Namen vieler Sportstars, von denen ich keine Ahnung habe. Bei Celebrities aus dem Film kann ich schon eher mithalten: Mickey Rooney, Goldie Hawn, Kurt Russell oder der Rockstar Alice Cooper tauchen in der Namensliste auf. Wohl kein Wunder. Laut Google diente der Tower als Kulisse für zahlreiche Filme. 


Die Spitze es Palmolive Buildings  
mit dem Leuchtfeuerturm (i.d.M). 

Und zu guter Letzt landen wir noch beim "Playboy" und seinem Erfinder Hugh Hefner. Die Geschichte dazu: 1929 bezog die weltbekannte Firma Colgate-Palmolive-Peet ein neues Hochhaus im hübschen Art-Deco-Stil am nördlichen Ende des Loop. Die Besonderheit am Skyscraper: Zuoberst stand ein verhältnismassig grosser schlanker Turm. Auf dessen Spitze wurde 1930 ein rotierendes Leuchtfeuer montiert, das die Flugzeuge sicher zum stadtnahen Midway Airport leiteten sollte. Der Scheinwerfer trug Namen des Flugpioniers Charles Lindbergh. 

1965 übernahm Hefner das Palmolive Building und machte es zum Hauptsitz seines "Playboy"-Unternehmens. Damit man das nicht übersehen konnte, liess er den Namen "Playboy" mit 2,7 Meter hohen Leuchtbuchstaben zuoberst anbringen. 1989 zogen Hefner und der "Playboy" wieder aus. 

Das Leuchtfeuer wurde übrigens 1981 eingestellt, nachdem sich Anwohner über das Leuchtfeuer beklagt hatten. 



Als Hugh Hefner hier residierte und der Scheinwerfer arbeitete. 











Wie komme ich in Chicago vorwärts?


Die Hochbahn in Chicago - ein Wunderwerk!

Es mag sonderbar für eine US-Grossstadt klingen: Doch Chicago ist ein Paradies für Stadtwanderinnen. Das Zentrum, Loop genannt, lässt sich gemütlich kreuz und quer durchmessen. Wunderbare Spazierwege führen auf der östlichen Seite durch grosse Grünanlagen und am Lake Michigan entlang kann man stundenlang vom Loop in die nördlichen oder südlichen Bezirke der Stadt wandern. Und stösst ständig auf spannende Gebäude, auf Kunst und Skurriles. 

Doch bahnaffin, wie ich nun mal bin, möchte ich zuerst die Metro erwähnen. Die Chicago Elevated, wie die Bahn hier heisst, ist eines der grössten und ältesten Metronetze der Welt. Die El oder "L", wie die Einheimischen die Metro nennen, umfasst ein Netz von knapp 171 km. Davon verlaufen knapp 92 km als Hochbahn. 

Wenn man sich die Streckenpläne anschaut, wird klar, weshalb der innerste Bezirk von Chicago "Loop" genannt wird. Die Hochbahn fährt hier in acht Metern Höhe über Strassenniveau in einem Loop um das Zentrum. Auf der Metrokarte sieht dies wie ein Rechteck aus. 


Zugang zur "L" in der Nähe meines Hotels. 


Die Hochbahn von der Terrasse des Trump Towers..



... und vom Trottoir aus zu bewundern. 


Die Metro fahrt weit ins Umland von Chicago, beispielsweise zum O'Hare Airport, dem - gemessen an den Flugbewegungen - zweitgrössten Flughafen der Welt. Der Coup daran: Die "L" fährt nicht neben, sondern auf zwei Trassen mitten zwischen den je vierspurigen Autobahnrichtungen. 


Amerika ist ein Autoland, wobei die Liebe der Amis zu ihrer Büchse skurrile Züge annehmen kann, wie ich in Chicago entdeckte. 



Finden es toll, wenn Touristinnen sie fotografieren....






Der Spassfaktor bei diesen vorwiegend von Jungs gefahrenen Boliden ist ziemlich einseitig. Da sie gerne beim Eindunkeln und vor allem Nachts herumfahren, wird man Ohrenzeugin eines infernalischen Lärms. An den Corsos beteiligen sich gerne auch schwere Töffs mit abmontierten Auspuffen, dafür mit extrastarken Lautsprechern, damit man ihre wummernde Rockmusic auch wirklich bis in den hintersten Winkel des Hotelzimmers hört. 



Als passionierte Fussgängerin entdeckt man vieles. An einer Strassenecke stosse ich auf ein Schild, das mir in Erinnerung ruft, dass dass die legendäre "Route 66" von Chicago nach Santa Monica eben hier begann. 












Die Bilderflut auf dem Handy, die ich jeweils am Abend ins Hotel trug, war phänomenal. Das kann man niemandem zumuten. Aber hier doch noch drei Aufnahmen, die viel über die USA aussagen. 

 






Wer war der Brandstifter? Die Kuh von Kate O'Leary!




Ich habe in meinen Chicago-Schmonzetten viel über Frauen geschrieben, die mir durch ihr Wirken aufgefallen sind. So ist es nur logisch, dass ich mit einer Frau meine Reiseaufzeichnungen beende. Sie ist sozusagen die Antipodin von Edith Farnsworth und Frances Glessner Lee. 

Ungebildet, arm, mit fünf Kindern gesegnet, wohnte Kate O'Leary mit ihrem Mann im Süden der Stadt Chicago in ärmlichsten Verhältnissen. Der einzige Reichtum waren vier Kühe, ein Kalb und ein Pferd, die in einer Scheune, vollgestopft mit Holz- und Kohlevorräten für den bevorstehenden Winter, standen.

Und genau hier brach das Feuer aus, das vom 8. bis 10. Oktober grosse Teile von Chicagos Innenstadt zerstörte. Unmittelbar nach der Katastrophe zirkulierte das Gerücht, Kate sei in der Scheune gewesen, als eine ihrer Kühe die Laterne umgestossen habe. Sie habe das selber zugegeben.  

Bei den Untersuchungen schwor Kate jedoch, sie sei beim Feuerausbruch im Bett gewesen. 

Doch Kate wurde nun in die Rolle ihres Lebens gepresst: die des Sündenbocks. Sie war eine Frau, irische Einwanderin, katholisch, sehr arm - Eigenschaften, die im damaligen politischen Klima von Chicago heftige Ressentiments auslöste. 

Das änderte sich auch nicht, als ein Reporter namens Michael Ahern 1893 in der Chicago Tribune zugab, dass er nach Brandausbruch die Geschichte mit der Kuh und der Laterne in Umlauf gesetzt hatte. Er wollte mit dieser Story mehr Publikum gewinn. Die O'Leary hätten einen Teil ihres Wohnhäuschens an eine Familie namens McLaughlin vermietet. Während eines Festes sei ein Gast in die Scheune gegangen um Milch zu holen - und dann sei das Feuer ausgebrochen. 

Und es änderte auch nichts daran, dass noch andere, teils sehr waghalsige Theorien kurzzeitig im Umlauf waren. Das Feuer sei durch eine weltweite Terrororganisation mit direkter Verbindung zu Pariser Kommune von 1871 verursacht worden. Laut einer anderen Theorie hatte ein Meteoritenschauer das Feuer ausgelöst. 

Gegen die Bäuerin O'Leary hatten solche Theorien keine Chance. Und sie selber bestärkte das Narrativ der ungehobelten, schmutzigen Einwanderin bis zu ihrem Tod. So weigerte sich Kate, mit Journalisten zu reden, die noch Jahre danach bei ihr aufkreuzten um ein Interview zu bekommen. Wurden diese aufdringlich, verscheuchte sie die Männer. Was diese in ihrer Einschätzung bestärkte, bei Kate und ihrer Familie handle es sich ungewaschene Immigranten, vor deren Hütte es gewaltig nach Schnaps und Kuhdreck stinke.  

Kate starb am 4. Juli 1895. Und so bekam sie nicht mehr mit, dass der Stadtrat von Chicago sie nach einer erneuten Untersuchung von jeder Schuld freisprach. 

Die Legende von Kate O'Leary lebt bis heute weiter. Alle Besucherinnen und Besucher, die auf den Willis Tower wollen, werden an einem riesigen Wandgemälde vorbeigeschleust (siehe Titelbild). Und hier noch der Text zu einem populären Song:


Late one night, when we were all in bed

Mrs. O'Leary lit a lantern in the shed.

Her cow kicked it over, 

then winked her eye and said, 

"There'll be a hot time in the 

old town tonight!" 


Bereits 1881 errichtete die Chicago Historical Society ein Marmordenkmal auf dem Grundstück, wo einst die Hütte der O'Learys stand. Und als die Feuerwehr von Chicago in den 1960er eine neues Ausbildungszentrum plante, wählte sie das Areal hinter dem Denkmal als neuen Standort. Wenn Kate das wüsste?

Warum konnte eine Stadt innerhalb von zwei Tagen massiv zerstört werden? Von den rund 300'000 Einwohnern verloren 100'000 ihr Zuhause, gegen 300 Menschen verloren ihr Leben, was allerdings für dieses Ausmass wenig war. Die allermeisten Leute konnten rechtzeitig flüchten. 

Es gibt viele Gründe: Der Sommer damals war heiss und trocken, starke Südwestwinde trieben das Feuer in Richtung Stadtmitte, die Feuerwehr war völlig überfordert. Laut Augenzeugenberichten erreichte der Funkenflug stellenweise mehrere Hundert Meter, das Feuer konnte so einen Fluss überqueren und in die Stadtmitte kommen. 

Holz gibt es bekanntlich fast überall. In Chicago jedoch fand das Holz noch einen speziellen Verwendungszweck. Weil die Stadt auf sumpfigen Gebiet gebaut war, waren die Strassen oft knöcheltief verschlammt. Und so kamen die Behörden, kräftig unterstützt von geschäftstüchtigen Holzindustriellen auf die Idee, Holzblöcke in den Boden zu rammen und mit Kohleteer zu bedecken. Kein Wunder, dass beim Grossen Feuer praktisch ganze Strassenzüge brannten.

Eine solche Holzstrasse kann man heute noch besichtigen. Sie liegt in der Nähe der Astor Street, die im "Goldküstenviertel" von Chicago liegt. Ganz in der Nähe befindet sich die frühere Residenz des Erzbischofs von Chicago. 















Eine Stadt erfindet sich neu - und landet in alten Problemen

Unwiderstehlich: Die Stadt vom Chicago River aus betrachtet. 

 

Als Teile des Stadtzentrums in Schutt und Asche lagen, trafen sich am 11. Oktober 1871 - einen Tag nach dem grossen Brand - Geschäftsleute in der State Street, und besichtigten die rauchenden Ruinen ihrer Warenhäuser. Dann wurde in einer Konferenz darüber abgestimmt, ob man dem fast völlig zerstörten Chicago noch eine zweite Chance geben oder ob man an einer anderen Stelle unter günstigeren Bedingungen noch einmal ganz von vorn anfangen sollte. Das Votum fiel zugunsten Chicagos aus. 

Dieser unbedingte Wille, der im Volksmund rasch mit "I will" bezeichnet wurde und noch heute als Symbol der Stadt gilt, führte zum Erfolg: Nur 22 Jahre später feierte die Metropole am Lake Michigan ihr Comback mit der Weltausstellung von 1893 (World's Columbian Exposition). 

Und heute? Chicago leidet am gleichen Phänomen wie andere Grossstädte. Wandert man durch die Stadt, fallen die zahlreichen Plakate an Schaufenstern und Bürotürmen auf: Für die leeren Lokale werden dringend Käufer oder Mieter gesucht. 

Ende Mai dieses Jahres zeichnete das "Wall Street Journal" (WJS) ein düsteres Bild von Chicago: Der Büromarkt leidet unter einer schwachen Nachfrage, höheren Zinsen und Refinanzierungsproblemen. Viele Geschäftshochhäuser stehen beinahe leer. Grosse Firmen wie der Finanzdienstleister Citadel sowie der Flugzeugbauer Boeing haben ihren Hauptsitz 2022 aus Chicago abgezogen. 

Der Büroleerbestand in Chicago liegt laut neuen Daten bei 16,3 Prozent und damit deutlich höher als im Landesdurchschnitt von 13,8 Prozent. Laut WSJ werden Bürohäuser für Spottpreise verkauft. 

Chicagos Behörden unter Leitung von Bürgermeister Brandon Johnson will Gegensteuer geben. Mit öffentlicher Unterstützung sollen leere Büroflächen in Wohnraum und Hotels umgewandelt werden. Derzeit läuft ein Projekt im Finanzdistrikt. In vier Gebäuden sollen so über 1000 Wohnungen entstehen. Die Stadt will sich mit 150 Millionen Dollar an den Kosten beteiligen. Voraussetzung ist, dass die Eigentümer ein Drittel der Wohnungen zu besonders günstigen Preisen anbieten. 

Laut WSJ stufen Experten diese Lösung indessen nur als einen Tropfen auf den heissen Stein ein. Laufend reduzieren Firmen ihren Bürobedarf - eine Spätfolge der Pandemie, die völlig andere Arbeitsformen ausgelöst hat. So hat der Softwarekonzern Salesforce, dessen gleichnamiger Tower am Chicago River eine Augenweide ist, fast einen Drittel seiner Bürofläche zur Untervermietung ausgeschieden. 

Selbst der Willis Tower, auf dem ich im gläsernen Balkon eine atemberaubende Aussicht genossen habe, blickt laut WSJ in eine ungewisse Zukunft. Die steigenden Zinsen treiben die Finanzierungsverpflichtungen in die Höhe. Laut dem Finanzriesen Blackstone, dem der Tower gehört, sind derzeit gegen 90 Prozent der Räumlichkeiten vermietet. 

Das Schöne am Tourismus: Man kann, aber man muss sich nicht mit diesen Problemen beschäftigen. Wie auch immer, die Stadt ist und bleibt eine Wucht. 


Chicago zu später Stunde. Rechts der Salesforce Tower. 


Dienstag, 25. Juni 2024

Die Millionärin, die sich sehr für Gewaltverbrechen interessierte


Frances Glessner Lee hat ihr Leben der forensischen Wissenschaft gewidmet. Das Bild zeigt, wie sie ein Diorama bastelte.  

Als die "Goldküste" von Chicago noch ein Sumpfgebiet war, residierten die ganz Reichen im Prairie Avenue District im Süden der Stadt. Hier liessen Wirtschaftsgrössen wie Philip Armour, der die US-Fleischverarbeitung dominierte, Marshall Field, der mit der gleichnamigen Warenhauskette den Detailhandel revolutionierte und George Mortimer Pullman, der den ersten Schlafwagen baute, oppulente Villen nach französischem Vorbild hochziehen. Glück im Unglück: Das Millionärsviertel blieb beim Grossen Brand von 1871 völlig verschont. 

In diese Gegend zogen auch John und Frances Glessner. John Glessner war Mitbegründer einer Fabrik für Landwirtschaftsmaschinen, die später über Fusionen mit Konkurrenten zu einem der grössten Hersteller der USA wurde. 



Das Haus der Familie Glessner

Glessner wollte keine französische Architektur, sondern liess sich von einem jungen Architekten namens Henry Hobson Richardson ein Anwesen in romanisch-vorgotischem Stil erbauen. Architektur ist eine Frage des Geschmacks, dachte ich mir, als wir das Haus - es ist heute ein Museum - durch den Verkaufsraum betraten. Sogleich fiel mein Blick auf eine kleine Büchervitrine. Und darin lag ein Buch mit dem Titel "18 Tiny Deaths, the untold Story of the Women who invented Modern Forensics". Mehr konnte ich nicht lesen, weil die energische Museumsführerin auf den pünktlichen Beginn der Tour pochte. 

Meine Neugierde wurde schliesslich doch noch belohnt: In einem der zahlreichen Zimmer, durch die wir geschleust wurden, lag das Buch wieder auf. Es handelte sich um das Zimmer von Frances Glessner, der Tochter des Ehepaares Glessner.

 

Das Buch über das Leben von Frances Glessner Lee

Und das ist die unglaubliche Story von Frances (1878-1962). Die Tochter wurde zu Hause erzogen. Während ihr Bruder in Harvard Medizin studierte, verwehrten ihr die Eltern den Gang an die Uni, obwohl sie schon als Kind davon geträumt hatte, Ärztin zu werden. Begründung: Für ein Mädchen aus gutem Hause schicke es sich nicht, zu studieren. Im Alter von 19 Jahren heiratete sie einen Anwalt, brachte drei Kinder auf die Welt und liess sich nach 16 unglücklichen Ehejahren scheiden. 

Durch einen Studienkollegen ihres Bruders, der Rechtsmediziner werden wollte, fühlte sie sich zur Forensik hingezogen. Der Durchbruch kam nach dem Tod ihres Vaters: Frances erbte das Familienvermögen (ihr Bruder war schon einige Jahre zuvor verstorben). 

Und sie wusste, was sie mit dem Geld machen wollte: 250'000 Dollar stiftete sie der Harvard University. Damit sollte der erste Forensik-Studiengang in den USA geschaffen werden. Wenig später schenkte sie Harvard eine Sammlung von 1000 Büchern für eine neue Fachbibliothek für Gerichtsmedizin. Und sie sorgte dafür, dass der erwähnte Studienkollege ihres Bruders den Lehrstuhl für Forensik erhielt. 

Als dieser nur zwei Jahre später starb, übernahm sie selbst Lehrtätigkeiten und gründete die Harvard Associate in Police Science, die Seminare über Mordermittlungen anbot. 1943 wurde Frances Glessner Lee zum Ehrenhauptmann der New Hampshire State Police ernannt und wurde damit zum ersten weiblichen Polizeihauptmann der USA.

Um den Unterricht anschaulich zu machen, konstruierte die handwerklich begabte Frances unter anderem mit Zahnarztinstrumenten 20 Schaukästen, die exakt die Tatorte realer Todesfälle wiedergaben. Könnten Rechtsmediziner und Polizisten jedes noch so winzige Detail eines Tatortes genau erfassen und analysieren, würde die Wahrheit wie in einer verdichteten Miniatur des Geschehens - nach englischer Redensart "in a nutshell" ("in einer Nussschale") - sichtbar werden, glaubte Frances. Sie nannte ihre Puppenhäuser "Nutshell Studies of Unexplained Death".


Der Tatort als Puppenhaus.

1945 übergab sie die morbiden Schaukästen der Harvard University, wo sie fortan in Seminaren eingesetzt wurden. Jeder Teilnehmer hatte genau 90 Minuten Zeit, den Miniaturtatort auszuwerten. In den "American Medical News" lobte Marylands Oberster Gerichtsmediziner John Smialek 1992 die Dioramen. Sie seien für den Unterricht von "unschätzbarem Wert" gewesen. 

Hätte Frances Glessner Lee das mitbekommen, hätte sie sich zweifellos sehr gefreut. Doch die Hobby-Forensikerin war 30 Jahre zuvor im Alter von 83 Jahren gestorben. Der Forensik-Studiengang an der Harvard, den sie bis zuletzt finanziert hatte, musste eingestellt werden. Und sie bekam auch nicht mehr mit, dass die Ermittler heute mit modernsten Technologien arbeiten. 

Die einzigartigen Dioramen können heute im Gerichtsmedizinischen Institut von Baltimore besichtigt werden. Mit Ausnahme einer Puppenstube: Sie steht im Glessner House im Zimmer von Frances. Daneben steht eine Sammlung von Ehren-Medaillen, die ihr verschiedene US-Polizeicorps geschenkt hatten.


Medaillen von verschiedenen Polizeicorps

Und auch das hätte die eigenwillige Frau gefreut: Sie gilt als Vorbild von Jessica Fletcher in der Filmserie "Mord ist ihr Hobby". Fletcher wurde von der legendären britischen Schauspielerin Angela Lansbury gespielt.   

Wenn sich Bauherrin und Architekt hassen


Traum oder Alptraum?

Auf dem Pflichtprogramm jeder Architekturreise in Chicago steht die Besichtigung des Farnsworth House in der Nähe der Stadt Plano, rund eine Stunde Autofahrt westlich von Chicago. Luftig und leicht sind die ersten Begriffe, die einem in den Sinn kommen, wenn man vor dem 140 m2 grossen Landhaus am Fox River steht. Das eingeschossige Haus steht auf 1,6 m hohen Stelzen und ist rundherum verglast.

Von jedem Raum aus hat man einen ungehinderten Blick auf eine grosse, von alten Bäumen umgebene Wiese und auf den träge dahinfliessenden Fluss. Wobei der Begriff "Raum" so nicht stimmt. Wohn- und Esszimmer, Schlafzimmer und Küche sind ein grosser Raum. Nur in der Mitte gibt es einen Block für Installationen wie Strom, Wasser, Bad, Toilette, Küchenzeile usw. 

Ein Traum von einem Haus, sind wir Besucherinnen uns einig. Für Edith Farnsworth und Ludwig Mies von der Rohe wurde es zum Alptraum. 

Edith wurde 1903 in eine angesehene Familie geboren, die ihr Vermögen in der Holzindustrie gemacht hatte. Die Farnsworth residierten im Prominentenviertel Gold Coast in Chicago, einem historischen Stadtteil nordwestlich des Stadtzentrums Loop. Bis in die 30er Jahre lebte Edith vor allem im Ausland und arbeitete an ihrer Karriere als Konzertviolonistin. 

Doch mit 30 Jahren entschied sich Edith für eine Zukunft in der Medizin. Sie studierte an der Northwestern University Medical School, was alles andere als einfach war. Damals gab es noch eine "Frauenquote", pro Abschlussklasse waren nur vier Frauen zugelassen. Edith reüssierte und und wurde zu einer angesehenen Ärztin. So gelang es ihr beispielsweise mit einer neuen Therapie Nierenentzündungen zu therapieren. 

An einer Dinner Party 1945 lernten sich Edith Farnsworth und Ludwig Mies van der Rohe kennen. Edith beauftragte den damals bereits berühmten Architekten mit der Planung eines Wochenendhauses in Plano. Dort wollte sich die Ärztin erholen und ihren Hobbies, wozu vor allem Hunde gehörten, ungestört nachgehen. 


Zwischen den beiden entspannte sich eine intensive intellektuelle Beziehung mit häufigen Picknicks am Fox River und spätabendlichen Treffen in Mies von der Rohes Büro. In den Klatschspalten hiess es, dass wohl mehr dahinter stecke als nur intellektueller Austausch. Der verheiratete Mies van der Rohe war bekannt als Frauenheld.

Mies van der Rohe betrieb einen enormen Planungsaufwand und investierte bis zur Fertigstellung 1950 bis 1951 Tausende von Arbeitsstunden in das Wochenendhäuschen. Und so nahm das Drama seinen Lauf. Noch vor der Fertigstellung verklagte der Architekt die Bauherrin auf die Zahlung von unbeglichenen Rechnungen in der Höhe von 28'173 Dollar. 

Ursprünglich hatte Edith an Baukosten von 8000 bis 10'000 Dollar gedacht. Vertraglich vereinbart wurden schliesslich 58'400 Dollar, die Schlussrechnung betrug 74'000 Dollar. Das wollte die Bauherrin nicht zahlen und konterte mit einer Gegenklage. 

Der juristische Zoff unter Prominenten wurde von den Medien genüsslich begleitet.  

Während Mies van der Rohe sein Credo "weniger ist mehr" gnadenlos umsetzte - er selber erklärte, das  Farnsworth House bestehe aus "praktisch nichts" - beklagte Edith die Unbewohnbarkeit. „Das Haus ist durchsichtig wie ein Röntgenbild. Ich wollte etwas 'Bedeutungsvolles' haben, und alles, was ich bekam, war diese aalglatte Spitzfindigkeit. Wir wissen, dass weniger nicht mehr ist. Es ist einfach weniger."

Ihr Fazit: "Die Glas-Stahl-Konstruktion ist unbewohnbar. Mies spricht vom offenen Raum, aber der Raum ist sehr festgelegt. Ich kann nicht einmal einen Kleiderbügel im Haus aufhängen, ohne mich zu fragen, wie das den Blick von aussen verändert. Jede Umstellung von Möbeln wird zum Problem."

Im Sommer, so erzählte die Ärztin in einem Bericht im "Newsweek" fühle sich das Haus wegen fehlender Kühlung und mangelhafter Ventilation "wie eine Fahrt bei prasselndem Regen in einem Auto an, dessen Scheibenwischer nicht funktionieren". 

Und wie ging der juristische Streit aus? Ludwig Mies von der Rohe gewann die Auseinandersetzung vor Gericht. Die beiden hätten sich bis an ihr Lebensende gehasst, schrieb der US-Schriftsteller und Journalist Alex Beam in seinem Buch "Broken Glass", das die Geschichte des Farnsworth House nachzeichnet. 

Edith Farnsworth nutzte das Haus dennoch fast 21 Jahre lang. In dieser Zeit wurde das Gebäude  teilweise überflutet, was zu erheblichen Schäden führte. Fünf Jahre vor ihrem Tod verkaufte sie die Liegenschaft. 

Und heute bewundern wir die Konstruktion als luftig und leicht. Dabei ist praktisch nichts mehr original. Immer wieder kam es in den letzten Jahren zu Überschwemmungen mit entsprechenden Schäden. 1996 stand die Wohnung 1,5 m unter Wasser. Einer der kuriosesten Schäden an diesem Tag: Die Wassermassen lösten ein Porträt, das Andy Warhol von Liz Taylor gemacht hatte von der Wand. Das Werk wurde in den Fox River geschwemmt und ward nicht mehr gesehen.

Seit das Haus 2006 zum Nationalen historischen Wahrzeichen deklariert wurde, bricht der Besucherstrom nicht mehr ab. Wie stellte doch Edith Farnsworth während der juristischen Fehde fest, dies allerdings mit bitterem Unterton: "Mein Haus ist ein Denkmal für Mies von der Rohe, und ich bezahle dafür." 


Das Wohnzimmer



Das Schlafzimmer



Die Architektur hat sogar die Verantwortlichen des dänischen Spielwarenherstellers LEGO entzückt. Mit 546 Teilen kann das Farnsworth House nachgebaut werden. 


Auf den Spuren grosser Architekten in Chicago




Vor dem Wohnzimmer erstreckt sich der Lake Michigan.

Hochgewachsen, ganz in Schwarz gekleidet: Dirk Lohan ist eine imposante Erscheinung, als er uns in seine Wohnung im 26. Stock bittet. Sein Appartement erstreckt sich über die Hälfte des obersten Geschosses. Vor den Fenstern, die alle auf den Boden reichen, breitet sich der Lake Michigan aus. Das Interieur macht klar: Hier wird exquisit gewohnt. 


Dirk Lohan

Mir fällt eine an der Decke befestigte hängende Holzkonstruktion auf. Sie erinnert an einen Einbaum mit einer liegenden kopflosen Figur. Dirk Lohan erklärt gerne: "Wenn sich die Skulptur bewegt, schwankt das Gebäude." Die Betrachterin schluckt leer und kapiert dann: Wir befinden uns in der Windy City, wie Chicago auch genannt wird. Es windet andauernd und oft so stark, dass die Hochhäuser ins Schwanken geraten. Ich habe die Holzkonstruktion danach immer mal wieder kontrolliert.



Schwankt das Haus, schwankt die Kunst.

Ob das exquisite Interieur seinem Grossvater gefallen hätte? Die Frage wäre unhöflich. Sein Grossvater war der berühmte Architekt Ludwig Mies van der Rohe, 1886 in Aachen geboren, 1969 in Chicago gestorben. Zu den vielen Wahrzeichen, die er unter anderem in Chicago hinterliess, gehören die zwei Appartementhäuser, wo Dirk Lohan seit längerem lebt. Hier hatte Mies van der Rohe 1951 zum ersten Mal im Hochhausbau eine reine Stahlkonstruktion verwendet und die Fassaden weitgehend verglast. Die van der Rohe-Gebäude fallen auch auf, weil sie allesamt schwarz sind. 



Die beiden dunklen Mies van der Rohe-Hochhäuser in der Mitte. 

Dirk Lohan, 1938 in Deutschland geboren, ging bei seinem Grossvater in den USA in die Lehre, bevor er sein eigenes Architekturunternehmen in Chicago eröffnete und sich ebenfalls einen Namen erarbeitete.


Ludwig Mies van der Rohe.


Der Grossvater und der Enkel gleichen sich nicht nur in ihrem Aussehen, sondern auch in ihren Werten, wofür die Architektur zu stehen habe. Sie betrachten die Architektur nicht nur aus ökonomischer Optik, sondern auch auf soziale Weise, immer mit dem Mensch im Mittelpunkt. Das habe ich in einer Onlinepublikation eines renommierten US-Einrichtungsbüros gefunden. 

Tönt gut, doch stimmt das auch? Mein Chicago-Trip vom 6. bis 16. Juni 2024, organisiert von der Reisehochschule Zürich sollte es zeigen. 

Doch warum wurde Chicago zum Hotspot für berühmte Architekten aus der ganzen Welt? 

Banal und brutal: Weil die Stadt zuvor abgefackelt wurde. Am 8. Oktober 1871 brach in einer Bauernscheune im Süden von Chicago ein Feuer aus. Starke Winde trieben das Feuer nach Norden und damit in die Stadtmitte. Bis zum 10.Oktober wurde eine Schneise der Zerstörung geschlagen. Zahlreiche berühmte Gebäude wurden zerstört. An diesem Tag begann ein starker Regen, der das Feuer schliesslich löschte. Gemäss Schätzungen gab es 300 Tote, 100'000 Menschen wurden obdachlos. The Great Chicago Fire ist ein Wahrzeichen der Stadt. 


Die Zerstörung durch die Feuersbrunst war gewaltig. 

Die Stadt musste sich neu erfinden, was Architekten aus aller Welt anzog, die hier ein Experimentierfeld für urbane Innovationen suchten und fanden: Louis Sullivan, Frank Lloyd Wright, Ludwig Mies van der Rohe und viele andere gehörten dazu.   

  






Montag, 19. Februar 2024

Eine kleine Geschichte zum Arganöl aus Marokko

Meine jüngste Kürzestreise führte nach Marokko. Eingeladen hatte die staatliche Tourismusbehörde. Und dort stiess ich auf ein interessantes Museum in Taghazout. Der kleine Küstenort liegt einige Kilometer nordwestlich von Agadir, der Millionenstadt an der Atlantikküste und gilt als Mekka für Surfer und Surferinnen. Das Museum widmet sich einem einzigen Thema: dem Arganöl, in der Werbung gerne auch als «das flüssige Gold Marokkos» gepriesen. Das Arganöl, soviel wusste ich, ist teuer und wird unter anderem in der Haarpflege eingesetzt. Das Museum (www.targant.taghazout.com) hat mein Wissen ziemlich erweitert. Kein Wunder, es bezeichnet sich stolz als erstes Arganöl-Museum der Welt.
Der Arganbaum (Argania spinosa) kommt nur in diesem Teil von Marokko vor und seine Früchte werden seit Jahrhunderten verarbeitet. 1998 erklärte die UNESCO das Gebiet zum Biosphärenreservat, einige Jahre später wurde die jahrhundertealten Kenntnisse und Praktiken zur Nutzung des Baumes und seiner Früchte von der UNESCO als Immaterielles Kulturerbe der Menschheit anerkannt. Das Öl, das als Delikatesse in Küche und Kosmetik vermarktet wird, ist sehr teuer. Mit ein Grund: Es steckt sehr viel Handarbeit in der Produktion des Oeles. Und das ist vor allem Frauensache. Das wird im Museum anschaulich dargestellt: Frauen ernten die getrockneten Früchte, schlagen sie auf, rösten sie und pressen die Samenplättchen zu Oel. Das war mal.
In den 1990er Jahren verlegte sich die Gewinnung des Arganöls in Fabriken in Agadir und Casablanca. Für viele Familien war das ein Desaster. Mit Hilfe des Staates wurde ein Verband gegründet, dem heute gegen zwei Dutzend Kooperativen angeschlossen sind. Mit den Erlösen aus dem handwerklich gewonnen Öl sollen laut Museum mittlerweile wieder viele Familien leben können. Auf das teure Arganöl wurden auch andere Staaten aufmerksam. In Mexiko, Algerien und Israel soll man laut Museumsführerin versucht haben, die Baum zu kultivieren. Die Versuche sollen fehlgeschlagen haben, weil die Bäume keine Früchte trugen. Die Gefahren für den Anbau und die Gewinnung des traditionsreichen Öls dürften ohnehin an einem anderen Ort liegen. Immer mehr Überbauungen, vor allem für den Tourismus, werden in den Arganreservaten hochgezogen. Im Museum werden überdies noch Kamele als Bedrohung für die Bäume erwähnt. Die Berber treiben je nach Jahreszeit ihre Herden von der Sahara nach Norden, und damit eben auch in die Argan-Gebiete. Dass hier ein seltenes Oel gewonnen wird, interessiere sie herzlich wenig, lese ich auf einer Erklärtafel. Das Problem liege darin, dass die Kamele nicht nur Blätter und die kostbaren Nüsse fressen, sondern auch Äste abbrechen. Im Museumsladen gibt es ein reichhaltiges Angebot an Ölen für die Küche und Kosmetik. Das Arganöl findet sich auch in einer "Nutella"-Version made in Maroc. Amlou, wie der Aufstrich hier heisst, wird aus Mandeln, Honig und eben Arganöl hergestellt. Der Honig stammt übrigens nicht nur von Bienen, auch aus einer Kaktusart wird Honig gewonnen. Und hier, sozusagen als eher schräger Schlusspunkt, noch eine Warnung der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung. "Arganöl ist nicht wertvoller als andere pflanzliche Öle. Viele Anpreisungen sind falsch oder irreführend und täuschend. Seinen horrenden Preis von rund Fr. 100.- pro Liter ist es zumindest aus gesundheitlichen Gründen nicht wert." Der Tadel stammt von 2004.

Freitag, 16. Februar 2024

Im Flughafen von Marrkesch angetroffen: Herumspazierende Katzen




Kürzlich bin ich auf Einladung des Marokkanischen Fremdenverkehrsamtes zu einem Kurzaufenthalt in der Nähe von Agadir eingeladen worden. Gelandet bin ich nicht im Flughafen Agadir, sondern in Marrakesch, weil Edelweiss die Route Zürich-Agadir nur zweimal pro Woche anbietet, dafür fliegt die Airline praktisch jeden Tag nach Marrakesch. 

Während ich in der langen Schlange vor der Grenzkontrolle anstehe, entdecke ich eine Katze, die gemütlich vorbeispaziert. Als extreme Katzenliebhaberin bin ich elektrisiert und mache automatisch, was ich immer in solchen Situationen tue: "Minou-Minou", rufe ich. Das sorgt da und dort für irritierte Blicke der Passagiere. Ist mir egal. 

Doch die Katze ignoriert meine Lockrufe und setzt ihre Promenade ungerührt fort. 

Was mich ziemlich frustriert, weil Katzen, denen ich sonst begegne, ziemlich rasch herbeieilen und schnurrend um meine Beine streichen. 

Diese Katze, soviel bekomme ich mit, ist weder abgemagert noch ängstlich. Vielmehr sieht sie gut gepflegt und völlig entspannt aus. Eben wie Katzen so sind, wenn sie sich an einem Ort wohlfühlen. Auch fällt mir auf, dass die zahlreichen Airport-Angestellten nicht auf die Katze reagieren. Sie gehört offenbar zum Personal. 

Nachdem mir der eher mürrische Polizeibeamte nach reiflicher Kontrolle meines Passes den Einreisestempel in das rote Büchlein geknallt hat, komme ich in die grosse Eingangshalle - und erblicke eine andere Katze, die mit erhobenem Schwanz gerade um eine Ecke verschwunden ist. 

Die erste hektische Suche auf Google nach Katzen in Airports ist ein Flop. "Katzen und Airport", das ergibt nur Tipps und Videos, wie man mit dem mitreisenden Haustier am besten vorgeht. 

Immerhin stosse ich nach längerer Suche auf eine Katze namens Stitches, die in den USA im St Paul Airport in Minneapolis Passagieren mit Flugangst therapeutisch erste Hilfe leistetet. Stitches wurde in einer Art Kinderwagen (und wohl angebunden) herumgefahren. Der Artikel stammte von 2019.

https://www.lonelyplanet.com/news/stitches-emotional-support-cat 

Drei Tage später bin ich wieder im Flughafen von Marrakesch. Nach dem Hindernislauf durch Check-in, Handgepäckkontrolle, Grenzkontrolle (diese gleich mehrfach), setze ich mich in der Abflughalle hin. Das Handy braucht dringend Strom, ich ein Sandwich. Das Handy hat Vorrang. Und was passiert, als ich die Steckdose suche: Eine Katze schlendert bei mir vorbei. Bevor ich überhaupt mit dem Handy reagieren kann, steht sie schon unter einer benachbarten Sitzreihe und schaut interessiert in die andere Richtung - und spaziert dann davon.



Mutmassliche Erklärung: Da es in der Abflughalle nur wenige Restaurants gibt, kaufen viele Fluggäste das Essen in den Foodshops ein und verpflegen sich dann sitzend vor dem Gate. Da fällt für die Katze einiges ab.  

Gedanken über das Katzenkloo habe ich mir nicht gemacht. 

Zu Hause hat mich das Thema weiter beschäftigt. Und auf was bin ich dann gestossen? Einige Airports leiden unter einer Mäuseplage. Mehr dazu hier: 

https://www.aerotelegraph.com/der-flughafen-frankfurt-hat-ein-maeuseproblem-lufthansa-senator-lounge

Die Lösung spaziert auf vier Pfoten herum. 











 







Donnerstag, 8. Februar 2024

Falkland VI: Über Punta Arenas nach Santiago de Chile und auf den höchsten Turm Südamerikas.

 

Was für ein Kontrast zu den Falklands: Santiago de Chile mit dem Sky Costanera, dem höchsten Gebäude Südamerikas. 


Die Falklands sind nur noch Erinnerung, als wir gegen Abend des 27. Februars mit der chilenischen Airline Latam in Santiago de Chile landen. Der Flug führte von RAF Mount Pleasant nach Punta Arenas im Süden Chiles und von dort gings weiter nach Santiago de Chile. 

Wir verbringen drei Tage in der pulsierenden Hauptstadt mit 6,9 Millionen Einwohnern. Es gäbe eine Menge an spannenden Dingen zu tun. Doch dafür ist die Zeit zu knapp. Ich will nach ganz oben, also auf den Sky Costanera und Stefan hat im Voraus eine alternative Stadtführung organisiert. 

Der Turm: Mit 300 m ist der Sky Costanera das höchste Gebäude Südamerikas und zählt 62 Etagen. Der schlanke Turm steht im Finanzviertel, das im Volksmund "Sanhattan" genannt wird. 

Nur so zum Vergleich: Das höchste Gebäude der Welt ist der Burj Khalifa in Dubai. Er bringt es auf unglaubliche 828 m. 

Doch auch auf dem "kleinen" Costanera ist die Aussicht vom 61. Stock eindrücklich. Die Rundumverglasung reicht bis auf den Boden. Einziger Wermutstropfen: Über der Stadt liegt Smog und die nahen Anden verstecken sich teilweise hinter Wolken. Mit Glück erhaschen wir einen Blick auf die Spitze des 5434 m hohen Cerro El Plomo. Die Skigebiete in den Anden sind nur rund 50 km von der Metropole entfernt. 


So sähen die Anden mit dem Cerro El Plomo bei schönem Wetter aus, sehe ich auf Google. Die Berner Alpen können da einfach einpacken..... 



Über eine Rolltreppe gelangt man vom 61. in den 62. Stock. Ein luftiges Erlebnis: Die oberste Etage liegt unter freiem Himmel. Regnet es, was es in Santiago allerdings nur noch selten tut, wird man hier begossen. Das Wasser sei kein Problem für den Boden, erklärt eine Angestellte. 
 

Blick von der 62. Etage nach oben. Es gibt kein Dach. 


Wir schliessen uns einer kurzen Führung an. Eine junge Frau erklärt uns mit grösster Begeisterung, was es in allen vier Windrichtungen an spannenden Sachen zu sehen gibt. Auf einem Tablet präsentiert sie uns immer wieder Bilder aus früheren Zeiten. Wir sind begeistert und bitten sie am Schluss um ein Selfie. 

Sie hat sichtlich Spass an ihrem Beruf. 


Bei der Stadtführung mit Roger Bautista Rivera-Grandón hat's definitiv keinen Platz mehr für Spass. Wer ist Roger? "Aktivist für Menschenrechte, Kulturmanager, Englischlehrer, Übersetzen und Dolmetscher, Freidenker von links und sophistischer Schriftsteller und Denker". Diese Aufzählung finde ich auf X, Facebook und anderen Kanälen, wo der Mann sehr präsent ist. 


Roger, der Aktivist, der bei der Stadtführung die Schrecken der Militärdiktur in Erinnerung ruft. 



Roger führt uns zu verschieden Orte, wo Politaktivisten während der Militärdiktatur unter General Augusto Pinochet entführt, gefoltert und umgebracht wurden. Pinochet hatte mit einem Putsch am 11. September 1973 die Macht an sich und das Militär gerissen. Die Diktatur dauerte 17 Jahre. Dabei kamen 3200 Menschen ums Leben. 

Roger nennt Namen und Jahreszahlen, kritzelt alles auf einen Fresszettel. Sein Feuereifer ist bemerkenswert, er deckt uns mit einer unglaublichen Menge an Informationen ein. Innerhalb weniger Stunden will er uns die Jahre des Schreckens eintrichtern. Besonderes Gewicht legt er auf den "Caso Degollados". Der spanische Begriff bedeutet nichts anderes als "Enthauptung". 1985 kam es zu einer Mordserie an Oppositionellen. Die Opfer wurden später mit aufgeschlitzter Kehle gefunden. Die Morde lösten einen politischen Skandal aus. 
 
Und wie hat er die bleierne Zeit selber erlebt? Roger erzählt uns, dass er sich rechtzeitig in die USA absetzen konnte und erst nach dem Sturz des Militärregimes wieder nach Chile zurückgekehrt war. 

Vielleicht erklärt das die Verbissenheit, mit der er die Schrecken der Vergangenheit präsent hält und an politischen Bewegungen teilnimmt, deren Ziel es ist, Chile in eine sozialistische Zukunft zu führen. 

Als wir uns nach mehreren Stunden von Roger trennen, sind wir ziemlich geschafft. 

Spätestens vor der "La Picá de Clinton" fühlen wir uns wieder etwa entspannt er. Die Bar und Imbissbude war im April 1998 in die Schlagzeilen geraten, weil US-Präsident Bill Clinton damals unerwartet auftauchte, umgeben von einen Tross von Medienleuten. Clinton hatte zuvor ganz in der Nähe an einem Treffen der Präsidenten aller nord- und südamerikanischen Länder teilgenommen. Weil er Hunger und Durst hatte, wich er kurzerhand vom offiziellen Programm ab und betrat den Schnellimbiss, der damals noch "San Remo" hiess. 

Der Laden wurde nach dem Besuch kurzerhand umgetauft und wurde zum Must für amerikanische Touristen. Noch heute gehört "La Pica de Clinton" zu den Sehenswürdigkeiten, die man in Santiago gesehen haben muss. 


Gehört zum Pflichtprogramm in Santiago. 


Nun ist auch Santiago de Chile nur noch eine Erinnerung. Am 30. Januar bestiegen wir eine Maschine der Air France, die uns nach Paris brachte. Am 31. Januar  landeten wir schliesslich um 10 Uhr morgens in Zürich. 

So, das wars. 







 




Kongo IX: Auf Abschiedstour mit den Pygmäen

Der zweitletzte Tag im Kongobecken gehört ganz der autochthonen Bevölkerung, wie die Pygmäen politisch korrekt genannt werden müssen. Diese ...